Schilderung eines polizeilichen Missbrauchs von Funkzellenabfragen in Osnabrück

Am vergangenen Donnerstag hielt der Innenausschuss des Niedersächsischen Landtags eine Sitzung samt mündlicher Anhörung ab, in der es um einen Entschließungsantrag der FDP bzw. um die Frage ging, ob in Niedersachsen über den polizeilichen und geheimdienstlichen Einsatz von Funkzellenabfragen eine Statistik angelegt werden soll oder nicht.

Derzeit kann (oder will!) niemand von Polizei, nds. Inlandsgeheimdienst und Landesregierung sagen, wie oft dieses Überwachungs- und Ermittlungsinstrument eingesetzt wird, aus welchen Gründen und mit welchem Erfolg.

Wir von freiheitsfoo durften dort ebenfalls unsere Sicht der Dinge (schriftliche Stellungnahme / Handout) vortragen, wir waren allerdings leider die einzige Stimme aus der so genannten „Zivilgesellschaft“.

Über den Verlauf der Anhörung haben wir ein grobes Stichpunktprotokoll geführt und veröffentlicht.

Was uns besonders auffiel und negativ überrascht hat:

Während seitens der (Regierungsmit-)Partei der „Grünen“ und seitens der derzeit in Opposition befindlichen FDP (bis zur letzten Landtagswahl noch mitverantwortlich für die Nichterstellung einer solchen Statistik) neugierig und insgesamt sehr konstruktiv nachgefragt worden ist, brachten sich seitens der SPD (Teil der aktuellen Landesregierung) und CDU (Opposition) nur je ein Innenausschussmitglied wesentlich in die Diskussion ein. Diese beiden Landespolitiker – namentlich Herr Becker (SPD) und Herr Adasch (CDU) – sind hochdekorierte ehemalige Mitarbeiter der niedersächsischen Polizei und mit diesem Hintergrundwissen wundert es wenig, dass sie mit zum Teil unsinnigen Einwürfen versuchten, den FPD-Entschließungsantrag zu torpedieren und die in der Liste an zur Stellungnahme eingeladenen ohnehin überproportional starke Vertretung von polizeifreundlichen Gruppen zu unterstützen.

Derzeit versuchen wir, die schriftlichen Stellungnahmen aus der Geheimniskrämerei des niedersächsichen Parlamentsbetriebs zu befreien (lesenswert z.B. die Stellungnahme des ULD Schleswig-Holstein) und möchten in diesem Zuge hier vor allem eine eindrückliche Schilderung veröffentlichen, die einen behördlichen Missbrauch der Funkzellenabfrage im niedersächsischen Osnabrück beschreibt und mögliche Konsequenzen für davon Betroffene anschaulich macht.

Es handelt sich um die mündliche Stellungnahme des Osnabrücker Rechtsanwalts Joe Thérond, die  beschreibt, wie sieben junge, politisch engagierte Menschen „dank“ einer rechtswidrig durchgeführten Funkzellenabfrage zum Zielobjekt polizeilicher Ermittlungen geworden sind, einer von ihnen sogar zu Unrecht eine Hausdurchsuchung samt aller dazugehörigen Folgen zu erleiden hatte:

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

Als Strafverteidiger in Osnabrück habe ich unmittelbar miterlebt, wie es einem von 7 jungen, politisch engagierten Männern ergangen ist, bei denen in Folge der Auswertung einer rechtswidrigen Funkzellenabfrage am 10.10.2104 eine rechtswidrige Hausdurchsuchung erfolgte und Mobiltelefone, PC, Laptop etc. rechtswidrig beschlagnahmt und ausgewertet wurden.

Was lag diesem schwerwiegenden Grundrechtseingriff zugrunde?

Am 08.08.2014 gegen 02:15 soll unmittelbar vor einer Discothek hinter dem Osnabrücker Hauptbahnhof, dieser Bereich wird auch als Osnabrücker Partymeile bezeichnet, eine gefährliche Körperverletzung gem. §§ 223, 224 StGB zum Nachteil zweier junger Männer, die nach polizeilichen Erkenntnissen der rechten Szene zuzuordnen sind, stattgefunden haben. Aus einer Gruppe von ca. 4 bis 7 Personen heraus soll Ihnen Reizgas o.ä. in den Bereich des Gesichtes/ Oberkörpers gesprüht worden sein. Es wurde vermutet, dass die Täter in der linken Szene zu verorten seien.

Am 11.08.2014 wurde polizeilicherseits bei der StA Osnabrück angeregt, einen Beschluss zur sog. Funkzellenauswertung gemäß § 100 g StPO zu beantragen. Zur Begründung wurde folgende Hyphotese aufgestellt:

„Es liegt nahe, dass zumindest einer der beiden Opfer gezielt fernmündlich von den bislang unbekannten Tätern zu dem späteren Tatort bestellt worden ist. Andere mögliche Gründe für den beabsichtigten kurzfristigen Aufenthalt der Opfer am späteren Tatort erscheinen nicht plausibel.“

Offensichtlich ist, dass diese „Hypothese“ nicht durch entsprechende Feststellungen oder Ermittlungsergebnisse gestützt wird.

Am 12.08.2014 beantragte die Staatsanwaltschaft Osnabrück unter Vorlage eines ausformulierten Beschlussentwurfs die Funkzellenabfrage.

Am 13.08.2014 unterschrieb der zuständige Ermittlungsrichter beim AG Osnabrück den beantragten Beschluß. Hierin heißt es: „Der Polizei liegen Erkenntnisse vor, dass bei gleich gelagerten Fällen in der Vergangenheit vor, während und nach der Tatausführung Telefonkontakte zwischen Mittätern stattfanden.“

Im Zuge der Auswertung der Erkenntnisse aus der Funkzellenabfrage wurden sieben Personen herausgefiltert, die vor der Tat miteinander kommuniziert hatten und nach Auffassung der Ermittlungsbehörde der linken Szene zuzuordnen sind. Gegen diese sieben Personen wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet und gegen alle sieben Personen, nunmehr Beschuldigte, wurden Hausdurchsuchungen durch den Ermittlungsrichter angeordnet und durchgeführt.

Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass zwei der sieben Personen ihren Wohnsitz innerhalb der Funkzelle hatten.

Letztlich wurden alle Verfahren mangels Tatverdacht durch die Staatsanwaltschaft Osnabrück eingestellt.

Mit Beschluß vom 20.06.2016 hat das Landgericht Osnabrück die Rechtswidrigkeit der durch das AG Osnabrück angeordneten Funkzellenabfrage festgestellt. Die Maßnahme war nach zutreffender Auffassung des LG Osnabrück unverhältnismäßig, da Gegenstand der Ermittlungsmaßnahmen eine potentielle Kontaktaufnahme zwischen den Tätern im Vorfeld der Tat war, sodass notwendigerweise sämtliche erhobenen Datensätze (Telefonate und SMS) mit insgesamt 778 Rufnummern in die Auswertung einzubeziehen waren. Je mehr Unverdächtige jedoch in die Auswertung einbezogen werden um so gewichtiger müssen neben der aufzuklärenden Tat und dem Tatverdacht auch die Tatsachen sein, die auf einen Ermittlungserfolg durch die Datenauswertung hoffen lassen. Hieran scheitert die angeordnete Maßnahme, da zum einen aufgrund der besonderen Umstände eine Kontaktaufnahme von Personen innerhalb des Bereichs der Funkzelle unverdächtig ist (Partymeile) und zum anderen die Hypothese politisch motivierte Tat kein hinreichendes Selektionskriterium ist, da das Motiv für Straftaten dieser Art (gef. KV) außerordentlich vielfältig sein kann.

In konsequenter Fortführung hat das LG Osnabrück in einer weiteren Entscheidung auch die angeordneten Durchsuchungen für rechtswidrig erklärt.

Welche Schlußfolgerungen und Konsequenzen können aus diesem Verfahren gezogen werden?

Man darf nicht der Täuschung erliegen, dass es sich bei der sog. Funkzellenabfrage um ein „harmloses“ Werkzeug der Ermittlungsbehörden handelt, da die Maßnahme nicht unmittelbar wie eine Durchsuchung, Erkennungsdienstliche Behandlung etc. spürbar und vor allem für den Betroffenen nicht wahrnehmbar sei.Der „Osnabrücker“-Fall zeigt deutlich welch weitreichende

Konsequenzen eine Funkzellenabfrage für einen Unschuldigen haben kann.

Die in § 100g Abs. 2 S. 2 StPO geregelte Funkzellenabfrage erfolgt in der Regel zu einem Zeitpunkt, bei dem es noch keinen konkreten Verdacht gegen individualisierte Beschuldigte gibt. Ihr Ziel ist die verdachtslose breitgestreute Gewinnung von Daten von Bürgerinnen und Bürgern, um durch Auswertung dieser Daten einen konkreten Verdacht gegen einzelne Personen zu gewinnen. Damit stellt die Maßnahme einen Grundrechtseingriff (Art. 10 Abs. 1 GG; Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) von hoher Intensität dar.

Von einer Funkzellenabfrage erfasste Personen unterliegen einem erhöhten Risiko, Betroffene weiterer behördlicher Ermittlungsmaßnahmen zu werden. Hierbei handelt es sich nicht um eine subjektive Einschätzung meinerseits, hierauf hat bereits das BVerfG hingewiesen:

„Von Gewicht ist hierbei auch, dass unabhängig von einer wie auch immer geregelten Ausgestaltung der Datenverwendung das Risiko von Bürgern erheblich steigt, weiteren Ermittlungen ausgesetzt zu werden, ohne selbst Anlass dazu gegeben zu haben. Es reicht etwa aus, zu einem ungünstigen Zeitpunkt in einer bestimmten Funkzelle gewesen oder von einer bestimmten Person kontaktiert worden zu sein, um in weitem Umfang Ermittlungen ausgesetzt zu werden und unter Erklärungsdruck zu geraten.“ (BVerfGE 125, 260 – 385)

Wie der Osnabrücker Fall zeigt, bietet auch der gesetzlich normierte Richtervorbehalt keinen hinreichenden Schutz vor diesen Gefahren.

Der Richtervorbehalt zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz ab.

Tatsächlich herrscht im Justizalltag jedoch die weit verbreitete Praxis der Staatsanwaltschaften, ihren Anträgen zur Verfahrensbeschleunigung und Erleichterung der richterlichen Willensbildung unterschriftsreife Beschlussentwürfe beizufügen. Im persönlichen Gespräch wird einem sogar von Staatsanwälten mitgeteilt, dass es Ermittlungsrichter gibt, die sich weigern einen Vorgang zu bearbeiten, wenn ihnen nicht ein Beschlussentwurf mit vorgelegt wird.

Zudem leidet der Richtervorbehalt in der Praxis wahrnehmbar an dem Umstand der Zunahme des Umfangs einzelner Verfahren bei gleichzeitigem Zeitdruck infolge der Eilbedürftigkeit des Antrages, wie mir schon von Ermittlungsrichtern erklärt wurde. Einige berichten, dass die Intensität ihrer Prüfung u.a. davon abhänge, ob der ermittelnde Beamte aus ihrer subjektiven Sicht in der Vergangenheit als zuverlässig eingeschätzt wurde.

Faktisch erfolgt aus Sicht der Verteidigung meist nur eine unzureichende Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen. Dies zeigt sich auch an den Beschlussbegründungen, die wenn überhaupt nur eine oberflächliche Auseinandersetzung mit dem Für und Wider der Anordnung enthalten. Meist werden nur formelhafte Begründungen verwandt (Beispiel: „Der Tatverdacht ergibt sich aus dem Ermittlungen des PK Müller“).

Diese im Justizalltag auftretenden Umstände höhlen die Effizienz des Richtervorbehaltes aus. Der Richtervorbehalt unterliegt in der täglichen Praxis der Gefahr, zur bloßen Illusion der Kontrolle von Grundrechtseingriffen zu verkommen.

Eine Überprüfung neben der richterlichen Kontrolle findet zudem wenn überhaupt nur in den Fällen statt, in denen ein Beschuldigter ermittelt und ihm die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens eröffnet wird und sich dieser entscheidet, anwaltlich oder gerichtlich die Anordnung überprüfen zu lassen.

Es stellt sich die Frage, welcher Kontrolle all die Abfragen unterliegen, die zu keinem Ergebnis bzw. Beschuldigten führen?

Zwar regeln die §§ 101, 101a StPO die Benachrichtigungspflicht, §101 Abs. 4 StPO sieht jedoch eine Ausnahme vor, nach der eine Benachrichtigung unterbleiben kann, wenn gegen die Person keine weiteren Ermittlungen geführt wurden, diese von der Maßnahme nur unerheblich betroffen wurde und anzunehmen ist, dass sie kein Interesse an einer Benachrichtigung hat. Von dieser Ausnahme wird vermutlich umfassend Gebrauch gemacht.

Die Praxis der unterlassenen Benachrichtigung beinhaltet die pauschale Annahme, dass der freie und mündige Bürger uninformiert darüber bleiben möchte, Gegenstand staatlicher Ermittlungsmaßnahmen geworden zu sein. Tatsächlich dürfte der wahre Grund vielmehr darin liegen, dass der erhebliche Aufwand, der mit der Benachrichtigungspflicht verbunden ist, gescheut wird.

Ergebnisse der Funkzellenabfrage dienen oft lediglich als Spurenansatz und führen daher auch in Fällen rechtswidriger Erlangung mithin nicht zu einem Verwertungsverbot. Ein Verstoß gegen die Anordnungsvoraussetzungen bleibt damit folgenlos.

Der vom Gesetz verwandte Begriff der „Straftat von erheblicher Bedeutung“ geht weit über den bereits breit gefächerten Katalog der Straftaten, bei denen eine Telefonüberwachung nach § 100a StPO angeordnet werden darf, hinaus.

Die im Bereich der Telefonüberwachung gem. § 100a StPO festgestellte massive Zunahme der Anordnungen (Vgl. z.B. Rechtswirklichkeit und Effizienz der Überwachung der Telekommunikation und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen, erschienen in der Reihe Kriminologische Forschungsberichte, Berlin 2005) und die Intensität des Grundrechtseingriffs der Funkzellenabfrage aufgrund ihrer Streubreite, zeigen deutlich die Notwendigkeit, die Anordnungsvoraussetzungen des § 100g anzuheben.

Aus Sicht eines Strafverteidigers ist es darüber hinaus dringend erforderlich, die Funkzellenabfrage gem. § 100g auf ihre Verhältnismäßigkeit anhand ihres tatsächlichen Einsatzes im Alltag der Ermittlungsbehörden zu überprüfen.

Des Weiteren ist eine konsequente Unterrichtung der Betroffenen zwingend notwendig. Die Unterrichtung führt zu einer höheren Kontrolldichte und damit zu einem erhöhten Schutz des Bürgers vor Grundrechtseingriffen. Gleichzeitig dürfte der mit der Benachrichtigung verbundene Aufwand zu einer genaueren Prüfung der Erforderlichkeit der Maßnahme im Vorfeld ihrer Beantragung führen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit,

Joe Therond
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Strafrecht
Fachanwalt für Steuerrecht

Bleibt abschließend für alle bis hierhin Lesenden nur noch ergänzend zu berichten, dass diese mündliche Stellungnahme als einzige keine Nachfragen seitens der Innenausschuss-Mitglieder einfing. Auch seitens der oben genannten beiden CDU- und SPD-Ausschussmitglieder nicht.

Herr Adasch von der CDU war sich allerdings nicht zu schade im späteren Verlauf der Sitzung zu versuchen, in einem Nebensatz die Berichterstattung von Herrn Thérond herabzuwürdigen … also zu einem Zeitpunkt, als sich dieser nicht mehr dagegen wehren konnte. So ein Verhalten empfinden wir als äußerst unfair, wenn nicht sogar als feige.

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