Niedersachsen ist eines der wenigen Bundesländer, dessen Polizeien und Geheimdienst nicht sagen können (oder wollen), wie oft diese Behörden eine so genannte Funkzellenabfrage durchgeführt haben geschweige denn, welchen Erfolg diese Überwachungsmaßnahme im Einzelfall hatte. Als Grund schiebt man vor: Es gäbe keine regierungsamtliche Anweisung zur Erstellung einer solchen Statistik.
Bei einer Funkzellenabfrage werden einmalig oder über einen bestimmten Zeitraum hinweg alle Mobilfunkgeräte (Handys, Smartphones, Tablets, Internet-Surfsticks, GPS-Tracker etc.) erfasst, die sich innerhalb eines zuvor definierten räumlichen Bereiches befinden. Die aktive Nutzung des jeweiligen Gerätes ist nicht notwendig, um von so einer Überwachungsmaßnahme betroffen zu sein: Der zufällige Aufenthalt mit einem eingeschalteten Handy in einem derart überwachten Bereich reicht aus, um in den Listen und Datenbanken der Behörden aufzutauchen und wenigstens für einen gewissen Zeitraum gespeichert zu werden.
Dass es in Niedersachsen dazu bislang weder Statistik noch Untersuchung gibt liegt zuallererst im Verantwortung der vorherigen schwarz-gelben Landesregierung. Der damalige CDU-Innenminister Uwe Schünemann wehrte sich mit Händen und Füßgen gegen die Möglichkeit zur Untersuchung der Frage, ob der mit mit der Funkzellenabfrage verbundene Eingriff in die Grundrechte vieler Menschen („Ermittler wühlen sich durch Listen mit Millionen Handynummern“) mit Blick auf die Ermittlungserfolge noch als verhältnismäßig betrachtet werden kann oder nicht. Doch auch die seit Anfang 2013 in Amt befindliche rot-grüne Landesregierung Niedersachsens (nun unter SPD-Innenminister Boris Pistorius) hat noch nichts an dem Mißstand geändert.
Die derzeit also in der Opposition befindliche FDP-Fraktion hat nun einen Entschließungsantrag in den Landtag in Hannover gebracht, der dafür sorgen soll, dass über Funkzellenabfragen Buch geführt wird.
Wir wurden (neben anderen Gruppen) um schriftliche Stellungnahme zu dem Antrag gebeten und zudem zur mündlichen Anhörung am 13.10.2016 vor dem Innenausschuss eingeladen.
Nachfolgend unsere schriftliche Stellungnahme, in der wir den Antrag begrüßen, zugleich aber bemängeln, dass dieser nicht weit genug geht. Denn auch der Einsatz von „Stillen SMS“ und IMSI-Catchern passiert in Niedersachsen, ohne dass hierüber Buch geführt wird. Weiterhin stellt sich uns die Frage, ob es Funkzellenabfragen in Niedersachsen auch im Zusammenhang mit Versammlungen gibt, was verfassungsrechtlich mindestens äußerst heikel wäre. Schließlich raten wir dem Niedersächsischen Landtag, das Recht der Menschen, im Falle der Erfassung im Rahmen einer solchen Funkzellenabfrage aktiv darüber informiert zu werden, endlich praktisch werden zu lassen und mit Leben zu erfüllen.
Die Stellungnahme im Gesamten:
Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für die Gelegenheit, unsere Stellungnahme zum Entschließungsantrag der FDP abgeben und einbringen zu können.
Nachfolgend erhalten Sie unsere schriftliche Stellungnahme, im Anhang zudem die Anmeldung zur Teilnahme an der mündlichen Anhörung am 13.10.2016.
In kurz lautet unsere schriftliche Stellungnahme wie folgt:
Wir unterstützen den Entschließungsantrag, inhaltlich geht uns dieser allerdings nicht weit genug.
Im Einzelnen und zur Erläuterung:
a.) Funkzellenabfragen sind eine eindeutig grundrechtsinvasive Maßnahme. Deren Durchführung verstärkt das allgemeine, diffuse Gefühl des ständigen Überwachtwerdens und ist insofern Gift für eine Gesellschaft freier Menschen.
b.) Die Wirksamkeit der Funkzellenabfrage bzw. die Wirksamkeit dieser Maßnahme ist ungeklärt – zu ihrer Verhältnismäßigkeit kann deswegen keinerlei Aussage getroffen werden.
c.) Die derzeit in Umsetzung befindliche Errichtung eines gemeinsam mit anderen Bundesländern betriebenen Telekommunikations-Überwachungszentrums Nord mit Sitz in Hannover verstärkt die Notwendigkeit einer sachlichen und nüchternen Untersuchung der Rechtmäßigkeit der derzeitigen Funkzellenabfragenpraxis.
d.) Im geforderten Umfang der statistischen Erhebung zur Praxis von Funkzellenabfragen in Niedersachsen fehlt derjenige Evaluationsanteil, der eine Aussage darüber zulässt, ob und in welchem Umfang diese Maßnahme im entscheidenden Maße zur erfolgreichen Prävention oder Aufklärung von Straftaten beigetragen hat.
e.) Ebenfalls fehlt die klare Forderung, dass der § 101 Absatz 4 StPO endlich mit Leben erfüllt wird und eine ausnahmslose Benachrichtigung aller von einer Funkzellenabfrage betroffenen Menschen in Niedersachsen informiert werden. Bisherige Anstrengungen, dieses durchzusetzen, liefen (auch und insbesondere in Niedersachsen) ins Leere. Das im Volkszählungsurteil aus den Artikeln 1 (Würde des Menschen) und 2 (Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit) entwickelte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung wird in diesem Zusammenhang mit den Füßen getreten.
f.) Weiterhin gehört über den im Entschließungsantrag genannten Punkten hinaus untersucht, ob niedersächsische Behörden Funkzellenabfragen im Zusammenhang mit Versammlungen durchführen. Dieses wäre aus unserer Sicht eine verfassungsrechtlich unzulässige Praxis. Der mündlichen Aussage eines hochrangigen Polizeimitarbeiters vom Februar 2015, dass dieses in Niedersachsen nicht der Fall sei, kann wenig Vertrauen entgegengebracht werden, wenn es doch gar keine Statistik zum Einsatz der Maßnahme gibt.
g.) Auch die Praxis des polizeilichen und geheimdienstlichen Einsatzes von „Stillen SMS“ und IMSI-Catchern wird in Niedersachsen statistisch in keinster Weise erfasst, wie uns das nds. Innenministerium im August 2015 mitgeteilt hat – dieser unhaltbare Zustand gehört endlich geändert und die Praxis bzgl. Einsatzhäufigkeit, Wirksamkeit und Verhältnismäßigkeit untersucht und bewertet.
Soweit in aller Kürze unsere Stellungnahme.
Wir würden uns freuen, wenn unsere Perspektive ernsthafte Aufmerksamkeit unter den Entscheidungsträgerinnen und -trägern findet und es würde uns noch mehr freuen, wenn bei etwaigen Planungen und Diskussionen zu einer noch zu erstellenden Richtlinie zur Anwendung von Funkzellenabfragen in Niedersachsen, wie von der grünen Innenpolitik-Sprecherin Frau Meta Janssen-Kucz angekündigt, auch die so genannte Zivilgesellschaft frühzeitig, und nicht nur in der faktischen Funktion eines Feigenblatts beteiligt werden würde, so wie es einst in der Präambel des rot-grünen Koalitionsvertrag eigentlich angekündigt worden war.
Dass das Fehlen einer Polizeistatistik über die Praxis von Funkzellenabfragen, „Stillen SMS“ und IMSI-Catchern aus dem Wirken und der Haltung der vorherigen schwarz-gelben Regierungskoalition herrührt, wollen wir der Vollständigkeit halber abschließend nicht unerwähnt lassen.
Wir sehen in diesem Zusammenhang den Vorstoß der FDP-Fraktion mit gemischten Gefühlen, freuen uns über die Anregung aber sehr und meinen, dass es der derzeitigen rot-grünen Landesregierung mit Blick auf deren Äußerungen und Kritik an den vorherigen schwarz-gelben Regierungen gut zu Gesicht stehen würde, den Mißstand fehlender statistischer Erhebungen zu polizeilichen und geheimdienstlichen Überwachungsmaßnahmen endlich zu beseitigen.
Viele gute Grüße von den Menschen vom freiheitsfoo,