Am kommenden Donnerstag behandelt das Verwaltungsgericht Hannover in einer öffentlichen, mündlichen Verhandlung die Frage, ob die Rechtsgrundlage des niedersächsischen Polizeigesetzes zum Einsatz von polizeilicher Videoüberwachung des öffentlichen Raumes verfassungswidrig ist oder nicht.
Es deutet sich an, dass das Gericht einen genauen Blick auf einzelne der 77 derzeit im Einsatz befindlichen Kameras werfen und untersuchen wird, ob und inwiefern diese Kameras tatsächlich präventiv oder straftataufklärend wirken (können) oder auch nicht.
So hat das niedersächsische Innenministerium samt der Polizeidirektion Hannover eine teilweise Kehrtwende gegenüber der eigenen Einstellung und allen Verlautbarungen von vor wenigen Jahren hingelegt, als die Vertreter beider Behörden bei einer Innenausschuss-Sitzung vom 2.6.2016 in Hannover mitteilten:
„Es ist richtig, dass die Polizei Hannover die Anzahl ihrer Kameras reduziert. (…) Eine Fortführung des Betriebs von Kameras zur Verkehrsüberwachung ist nicht vorgesehen.“
„Ja, es bestehen schon Bedenken, ob die aktuelle Rechtsgrundlage des § 32 Absatz 3 NdsSOG verfassungsgemäß ist oder nicht.“
„Die Landesregierung ist für den Einsatz moderner Kameraüberwachungstechnik an ausgewählten Standorten.“
Die Innenausschuss-Sitzung war Folge unserer Veröffentlichung zum Thema.
Dem Innenausschuss wurde seitens der Behördenvertreter(innen) weiterhin mitgeteilt:
„Es gibt noch keine genauen Angaben zum konkreten Abbau von Polizei-Überwachungskameras.“
Das entspricht jedoch nicht der ganzen Wahrheit:
Aus dem Schreiben geht hervor:
- Eine der zuvor 78 Kameras wurde jüngst abgeschaltet, ist allerdings noch montiert.
- Bei einer weiteren Kamera wurde die Aufzeichnung der Bilder abgeschaltet.
- 37 Kameras (meistens an Autobahnen und Schnellwegen) sollen abgebaut oder der niedersächsischen Verkehrsmanagementzentrale (VMZ) zum Betrieb angeboten werden.
- 23 weitere Kameras sollen weiter mit Bildaufzeichnung betrieben werden. Deren Betrieb sei angeblich entweder aufgrund einer „Gefahr terroristischer Anschläge“ oder aufgrund der „Erwartung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung oder gefährlicher Körperverletzung“ vertretbar.
- 17 Kameras dienten der „Kriminalprävention“ und sollen dauerhaft installiert bleiben, aber „nur“ temporär betrieben werden.
Die Strategie des nds. Innenministeriums beruht also im Wesentlichen auf der Verschiebung der Betreiberverantwortlichkeit einer großen Anzahl von Kameras an die VMZ, was faktisch allerdings gar nichts an der Überwachungs-Situation ändern würde: Durch eine „Kooperation“ der Polizei Hannover mit dem ÖPNV-Betreiber der Stadt (üstra) und der VMZ haben Polizeibeamte durchgängig die faktische ständige Zugriffsmöglichkeit auf die Bilder aller Kameras der anderen Stellen.
Das bedeutet:
Die Polizei Hannover verfügt zur Überwachung des öffentlichen Raums nicht über über die eigenen Kameras sondern hat auch Zugriff auf (derzeit) 308 zum Teil hochmoderne Überwachungskameras der VMZ in ganz Niedersachsen und 324 zusätzliche Kameras in Bus-, U-Bahn- und Stadtbahnhöfen und an weiteren vielfrequentierten Stellen des ÖPNV in der Landeshauptstadt.
Selbst wenn man die vielen Kameras der VMZ an den Straßen außerhalb der Region Hannover davon abzieht verbleiben der Polizeidirektion Hannover neben ihren eigenen 77 Kameras noch weitere 346 Kameras im Raum Hannover, mit der sie den öffentlichen Lebensraum der Hannoveraner bei Bedarf überwachen kann!
Wir fordern den Abzug der Polizeibeamten aus der Überwachungs-Zentrale der Verkehrsmanagementzentrale und strenge, inhaltlich klare und transparente Regelungen, in welchen konkreten Fällen die Polizei auf Kameras von VMZ und üstra zugreifen darf sowie die Protokollierung und Veröffentlichung dieser Zugriffe im Einzelnen.
Zugleich verlangen wir den vollständigen oder zumindest sehr deutlichen Abbau von Anlagen zur Überwachung des öffentlichen Raums in Hannover. Städte wie Hamburg, Düsseldorf oder Berlin haben aktuell keine vergleichbare Rechtsgrundlage zur dauerhaften Videoüberwachung des öffentlichen Lebens: Es gibt keine einzige wie in Hannover an 77 Stellen eingesetzte, stationäre Überwachungskamera der Polizei, die beispielsweise den Alexanderplatz oder das Brandenburger Tor in Berlin im Blick haben müsste, damit dort nicht das Chaos ausbreche oder Willkür hersche.
Die Behauptung der Polizeidirektion Hanover, dass 40 der aktuell installierten Kameras präventiven Zwecken dienen würde, bleibt trotz intensiver Nachfragen in den letzten acht Jahren bislang unbegründet. Die bruchstückhaften, der interessierten Öffentlichkeit bislang vorgelegte Statistiken können diese Ansage nicht bekräftigen.
Das könnte mutmasslicherweise auch der Grund für die seitens der Polizeidirektion Hannover in unserem Schreiben dargelegte Optional-Begründung für die Notwendigkeit und Wirksamkeit der Überwachungsanlagen sein. In dem Schreiben heisst es nämlich:
„Das Vorliegen der Voraussetzungen [zum rechtmäßigen Betrieb der Polizeikameras] wird anhand eines jährlichen Vergleichs der Straftatenentwicklung an den jeweiligen Kamerastandorten überprüft (…) Dabei werden (…) [auch] die Lagebilder des Staatsschutzes berücksichtigt.“
Wir sind gespannt, wie sehr das Gericht den Fakten der Kriminalitätsentwicklung im Bereich der Kameras und dieser vorherigen Allgemeinbegründung im Detail auf den Zahn fühlen wird.
Bis dahin lassen wir uns die krude Äußerung der innenpolitischen Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion in Niedersachsen, Frau Angelika Jahns, auf der Zunge zergehen:
„Es ist (…) absurd, in der Diskussion um Videoüberwachung von einem Recht auf Privatsphäre in Bussen, Bahnen und auf zentralen Plätzen zu sprechen. Hier muss Gefahrenabwehr Vorrang haben.“