PEGIDA- und Gegen-PEGIDA-Demonstrationen vom 4.4.2016 in Hannover: Unzulässige Beschneidung der Versammlungsfreiheit durch Polizei und Versammlungsbehörde

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Gefährliche Situation für Versammlungsteilnehmer, jedoch nicht absichtlich seitens der Reiterin herbeigeführt: Eine unglückliche Wahl des Weges für das Polizeipferd über Treppenstufen irritiert das Tier und lässt es in Panik geraten – Hufe schlagen Funken.

Zu den am 4.4.2016 in Hannover stattgefundenen PEGIDA- und Gegen-Pegida-Demonstrationen haben wir von freiheitsfoo eine Demonstrationsbeobachtung durchgeführt, waren sogar bei einem vorhergehenden „Kooperationsgespräch“ zwischen Versammlungsanmelder und Polizei/Versammlungsbehörde mit dabei. (Siehe auch unsere Wikiseite zu allem.)

Aus alledem haben wir eine Zusammenfassung samt Bewertung des Geschehens erstellt. Als besonders schwerwiegenden und – unserer derzeitigen Auffassung nach – unrechtmäßigen, weil unverhältnimäßigen Eingriff in die Versammlungsfreiheit sehen wir das Verhalten von Polizei und Versammlungsbehörden vor den Demonstrationen aber auch Teile des Ablaufs der Demonstrationen.

Besonders negativ hervorzuheben sind dabei die den Versammlungsleitern gegenüber unangekündigten und unbesprochenen anlaßlosen Identitätskontrollen samt Durchsuchungen von potentiellen Demonstrationsteilnehmern – eine Anordnung, die seitens der Polizeiinspektion Mitte erst am Tage der Versammlungen erlassen wurde und deren Inhalt man uns vor Ort nicht im Detail nicht mitteilen wollte.

Wegen dieser äußerst fragwürdigen Maßnahme, aber auch wegen anderer zweifelhafter Praktiken seitens Polizei und Versammlungsbehörde wenden wir uns nun mit Nachfragen die Behörden.

Den Demonstrationsbericht und unsere Fragen veröffentlichen wir nachfolgend im vollen Umfang:

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

am Abend des 4.4.2016 fanden in Hannover eine Demonstration der PEGIDA-Bewegung (jetzt unter anderem Namen organisiert) sowie zwei Gegendemonstrationen statt. Entgegen der von der Polizeiinspektion Hannover-Mitte erstellten Prognose (mit der als Begründung das Versammlungsgrundrecht eingeschränkt worden ist!) verliefen beide Demonstrationen im Großen und Ganzen friedlich und reibungslos.

Wie Sie wissen, war eine Person von „freiheitsfoo“ bei dem Kooperationsgespräch zu einer der Gegendemonstrationen auf Einladung der Anmelder hin mit anwesend, zudem haben wir – wie Ihnen zuvor angekündigt – die Versammlungen im Rahmen einer Demonstrationsbeobachtung begleitet und das Geschehen dokumentiert.

Wir bedanken uns für die zum Teil kooperative Zusammenarbeit und Diskussionen mit Ihren Konfliktmanagern am Abend der Demonstrationen. Wie sich schon vor Beginn der ersten Versammlung andeutete, gibt es ein paar Nachfragen, die wir Ihnen nun seitens der Redaktion des Blogs freiheitsfoo.de nachträglich stellen und um Beantwortung bitten.

Zum Vorlauf und zum Verlauf der Demo ein paar Worte aus unserer Sicht vorweg:

Das Kooperationsgespräch fand (erneut!) trotz früher Ankündigung (Mi., 23.3.2016) der Demonstration erst an einem Nachmittag zwei Werktage vor der Versammlung (Do., 31.3.2016) statt. Nach Angaben des Versammlungsanmelders wurde dieser erst 7 Tage nach Demoanmeldung seitens der Versammlungsbehörde telefonisch kontaktiert und dann sogleich für den Folgetag das Kooperationsgespräch vereinbart – etwas, was für die Flexibilität des Anmelders spricht, nicht aber für die Flexibilität der beteiligten Behörden. Das Kooperationsgespräch wurde dann erstaunlicherweise bezüglich der eigentlich zu klärenden Fragen nicht durch die Versammlungsbehörde sondern durch die Vertreter*innen der für den Einsatz zuständigen Polizeiinspektion Mitte (vertreten durch dessen Leiter und zwei Polizeibeamtinnen) geführt.

Man darf hier die Frage stellen: Wessen Interessen, Wünsche und Rechte werden bei dieser Konstellation in den Vordergrund gerückt? Die der Polizei (der anwesende Polizeiinspektionsleiter versteht ein Versammlungsrecht hauptsächlich als Gefahrenabwehrgesetz aber nicht als ein Gesetz, dass die Durchsetzung der Versammlungsfreiheit zum Ziel hat!) oder die der Demonstrierenden, die sich um überhaupt erst einmal demonstrieren zu dürfen, einer gewaltigen bürokratischen Struktur unterordnen müssen.

Beim Kooperationsgespräch wurde dem Demonstrationsanmelder eine ihm bis dahin nicht bekannte Variante eines von der Polizei selber ausgewählten Streckenverlaufes präsentiert, der außer dem Anfangs- und Endpunkt der Demonstration nichts mit der angemeldeten Strecke zu tun hatte. Trotz umfangreicher Diskussionen (das Kooperationsgespräch dauerte ca. 75 Minuten) und trotz mehrfachen Entgegenkommens des Anmelders bezüglich einer zeitlichen oder räumlichen Verschiebung der Versammlung erstreckte sich die „Kooperation“ der Polizeidirektion Mitte letztendlich auf folgende Varianten:

a) Streckenverlauf wie von der Polizei ausgesucht und vorgegeben.
b) Gar keine sich fortbewegende Demonstration, sondern fest stehende Demonstration an einer Stelle.
c) Gar keine Demonstration.

Faktisch fand der Versammlungsanmelder bei Polizei oder der Versammlungsbehörde (die sich zu dieser Streitfrage fast völlig aus der Diskussion heraushielt) also gar keine ernsthafte Kooperationsbereitschaft vor.

Letztendlich führte dieses Gespräch mitsamt sich den daraus ergebenden Optionen konkret dazu, dass die Polizei faktisch selber bestimmen konnte, welchen Weg der Demonstrationszug nimmt. Das aber hat nichts mehr mit dem Wesen der Versammlungsfreiheit zu tun, die eine zunächst grundsätzlich freie Wahl von Art und Weise einer Versammlung beinhaltet. Das Verhalten von Polizei und Versammlungsbehörde war in der Gesamtschau unkooperativ und fördert nicht den Willen der Beteiligten, sich zukünftig weiterhin solchen aufwändigen und aus der Sicht der Versammlungsteilnehmer sich negativ auswirkenden Prozeduren zur Verfügung zu stellen, sondern das Behördenverhalten beschneidet die Grundrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit tief, effektiv und nachhaltig.

Potentielle Teilnehmer der Gegendemonstration wurden am Steintor vor Beginn der Versammlung durch mindestens drei Vierergruppen von Polizeibeamtinnen und -beamten grundlos (juristisch: verdachtslos) angehalten und kontrolliert – dabei wurden die Personen durchsucht und abgetastet, Taschen und Rucksäcke mussten entleert und/oder vorgezeigt werden. Von allen diesen so kontrollierten Personen wurden die Personalien aufgenommen und online überprüft.

Diese Kontrollen von (potentiellen) Versammlungsteilnehmern hatte einen eindeutig abschreckenden Charakter, so haben sich in mindestens zwei Fällen – nach unserer Beobachtung vor Ort – Menschen angesichts dieser Polizeimaßnahmen dazu bewegen lassen, an der Demonstration nicht mehr teilnehmen zu wollen.

Weiter wurde uns seitens Dritter, jedoch im wesentlichen auch bestätigt durch Herrn B. als Leiter des Konfliktmanagementteams berichtet, dass sich die Besucher der PEGIDA-Demo ausnahmslos oder nahezu ausnahmslos Taschenkontrollen und Durchsuchungen unterziehen lassen mussten. Hier wurden allerdings angeblich keine Personalien aufgenommen oder überprüft, sofern die Durchsuchung keinen Anlaß dazu gegeben habe. Auch diese Durchsuchungen halten wir für unverhältnismäßig und eindeutig unzulässig.

Die für diese Personenüberprüfungen zugrunde liegend Anordnung stammt von der Einsatzleiterin der PI Mitte und wurde am 4.4.2016, also am Tag der Demonstration erlassen. Die Demonstrationsanmelder wurden weder im Zuge der Kooperationsgespräche noch sonstwie über diese Maßnahme informiert. Eine Überprüfung dieser vermutlich verfassungswidrigen Anordnung seitens des Verwaltungsgerichts wurde dadurch verunmöglicht. Die Anordung wurde nach Anfrage an die Einsatzleiterin noch am Abend der Demonstration nicht zur Veröffentlichung freigegeben, obwohl sie keinerlei Sperrvermerk enthält oder sonstwie der Geheimhaltung unterliegen würde. Angeblich wird als Rechtsgrundlage der § 14 NdsSOG angeführt, der damit über die geltenden Regeln des NVersG gestellt werden würde.

20160404anti-pegida-demo-hanonver10Die Demonstrationszüge, besonders allerdings die der Gegendemonstrationen, wurden während des Umzugs mittels eines großen Aufzugs von Polizeibeamten begleitet und über große Strecken der Demoroute massiv von Passanten abgeschirmt, zum Teil sogar zweireihig und auf einem großen Bereich des Demozugs durchgängig. Die im Brokdorf-Beschluß verlangte „Staatsferne“ wurde so zu einer Farce, Passanten wurden durch die Menge, die Bekleidung (Rüstung) und durch das Verhalten der Polizeikräfte von einer 20160404anti-pegida-demo-hanonver04Beteiligung an der Demonstration abgeschreckt, die Außenwirkung der Versammlung wesentlich beeinträchtigt oder gar unmöglich gemacht, wenn Transparente oder Protestschilder von den Polizeispalieren zum Teil faktisch verdeckt werden. In Abschnitten glich der Demonstrationszug eher einem sich fortbewegenden Polizeikessel oder Gefangenentransport denn einer freien Versammlung.

Etwa auf der Hälfte der Demonstrationsroute wurde die Spitze des Gegendemonstrationszugs von der Polizei mit einer Handkamera aufgezeichnet (18:58 Uhr, Schmiedestraße, Höhe Kaufhof). Begründet wurde dieser Eingriff mit einem angeblich die Polizeibeamten beleidigenden Transparent. Warum nicht weniger invasive Mittel zur Beweissicherung genutzt worden sind, konnte vor Ort von den Beamten nicht beantwortet werden.

Den Gegendemonstrationen wurden an der Endhaltestelle am Georgsplatz die Sicht und der Blickkontakt zur PEGIDA-Demonstration mittels eines frontal geparkten Polizei-Gefängnisbusses sowie mittels eines Polizei-Einsatztransporters wesentlich verstellt. Auch diese Maßnahme wurde so nicht mit den Anmeldern der Demonstration besprochen oder angedeutet.

In einem Bericht der HAZ vom 4.4.2016 heißt es: „Unter den Gegendemonstranten waren laut Polizei rund 100 Demonstranten aus dem linksextremen Spektrum gemeldet.“ (Quelle: http://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Uebersicht/300-Demonstranten-protestieren-in-Hannover-gegen-Pegida )

Wir freuen uns sehr darüber, dass die Demonstrationen trotz der zahlreichen und umfangreichen – und aus unserer Sicht unrechtmäßigen – Einschränkungen der Versamlungsfreiheit friedlich verlaufen sind, dass sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Versammlungen davon also nicht provozieren ließen. Diesen Dank muss den Demonstrierenden ausgesprochen werden, nicht aber den für die Einschränkungen zulässigen Behördenvertretern.

Im Lichte dieser Vorbemerkungen haben wir seitens der Redaktion von „freiheitsfoo.de“ folgende Fragen an Sie:

1. Kooperationsgespräch und Auflagenbescheid

1a.) Wie bewerten Sie die Aussage des Leiters der PI Mitte aus dem Kooperationsgespräch: „Das Versammlungsgesetz ist ein Gefahrenabwehrgesetz.“ bzw. unterstützen Sie diese Interpretation oder nicht?

1b.) Warum fand das Kooperationsgespräch erst 8 Tage nach Demonstrationsanmeldung bzw. erst zwei Werktage vor der Versammlung statt?

1c.) Warum wurde die Gesprächs- und Verhandlungsleitung während des Kooperationsgespräches in weiten Bereichen durch die Vertreter*innen der Polizeidirektion Mitte, nicht aber durch die Verhandlungsbehörde bzw. deren Vertreter übernommen?

1d.) Wie begründen Sie die Auflage Nr. 10 des Auflagenbescheids zur Gegendemonstration, wonach den Durchsagen der Polizei Vorrang gegenüber den Durchsagen der Versammlung eingeräumt wird?

2. Rückblick Demonstration allgemein

2a.) Wie viele Feststellungen von Ordnungswidrigkeiten und Straftaten gab es im Zusammenhang mit allen Demonstrationen des Abends, um was für Ordnungswidrigkeiten und Straftaten oder Verdachtsfälle dazu handelt es sich im einzelnen und wie teilen sich diese auf in Zusammenhänge mit der PEGIDA-Demo und den Gegendemos?

2b.) Wie viele Festnahmen gab es an diesem Abend im Zusammenhang mit den Demonstrationen und was waren die Gründe hierfür?

3. Kontrollstellen

3a.) Wie viele Personalienfeststellungen gab es an diesem Abend im Zusammenhang mit den Versammlungen? Wie viele davon waren es bei der PEGIDA-Demo und wie viele bei den Gegendemonstrationen?

20160404anti-pegida-demo-hanonver063b.) Wie viele Personen wurden im Zuge der Anordnung durchsucht und in wie vielen dieser Fälle wurden Waffen oder andere aus der Sicht der Polizei unerlaubte Dinge gefunden, die Anlaß zu weiteren Maßnahmen gaben? Was wurde im Detail gefunden und welcher Demonstration werden die Funde/Fälle jeweils zugeordnet?

3c.) Wie lautet der Text der Anordnung vom 4.4.2016 bzgl. der Durchführung verdachtsloser Personenkontrollen?

3d.) Warum wurde die Veröffentlichung dieser Anordnung oder wenigstens die Aushändigung an die Versammlungsleiter verweigert?

3e.) Warum wurde diese Anordnung nicht den Anmeldern der Demonstrationen gegenüber kommuniziert?

3f.) Warum wurde diese Anordnung nicht auf den Kooperationsgesprächen zu den Demonstrationen erörtert?

3g.) Warum wurde diese Anordnung erst am 4.4.2016 erlassen, wenn die Gefahrenprognosen doch schon spätestens zum 31.3.2016 erstellt worden waren?

3h.) Wie begründen Sie die in einem Einzelfall beobachtete Verweigerung einer diese Personenkontrollen durchführenden Polizistin, die Nachfrage der kontrollierten Person nach dem Namen oder der Dienstnummer der Polizistin zu beantworten? Ist es nicht das Recht der kontrollierten Person, auf so eine Nachfrage eine Antwort zu erhalten?

3i.) Wie begründen Sie die Verhältnismäßigkeit der Anordnung im Lichte der Schwere und der Bedeutung des Versammlungsgrundrechts nach Art. 8 GG, das das Recht auf anonyme Teilnahme an einer Versammlung beinhaltet?

3j.) Wie bewerten Sie die Gefahr, dass durch die Umsetzung der Anordnung eine abschreckende Wirkung auf potentielle Demoteilnehmer ausgegangen ist, die zur Nichtwahrnehmung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit geführt haben kann?

3k.) Wie gestaltet sich Ihrer Meinung nach für einen von den Kontrollstellen eingeschüchterten und deswegen nicht an der Versammlung teilnehmenden Menschen der Rechtsschutzweg gegen die Maßnahme der verdachtsunabhängigen Kontrollen von Demonstrationsteilnehmern konkret aus?

4. Videoaufzeichnung der Demo durch die Polizei

20160404anti-pegida-demo-hanonver124a.) Warum wurde die Spitze des Demonstrationszuges wie oben beschrieben gefilmt und nicht zu milderen Maßnahmen gegriffen?

4b.) In welchem zeitlichem Umfang wurden Videoaufnahmen von den Gegendemonstrationen aufgezeichnet und wie und in welchem Umfang wurden diese Daten verarbeitet?

4c.) Gab es eine Weitergabe dieser Daten an andere Stellen innerhalb der Polizeibehörden oder an andere, dritte Stellen?

5. Sichtsperre der Gegendemonstration durch Polizeibus und -transporter

20160404anti-pegida-demo-hanonver145a.) Das Versammlungsgrundrecht beinhaltet laut geltender Rechts- und Rechtssprechungslage auch das Recht für Gegendemonstranten auf einen Protest in Sicht- und Hörweite der kritisierten Versammlung. Dieses wurde in diesem Fall mittels des Einsatzes des Polizei-Gefängnisbusses erheblich eingeschränkt. Wie begründen Sie diese Maßnahme und warum erfolgte hierzu keine Absprache mit den Versammlungsleitern?

5b.) Besitzt der Polizei-Gefangenen-Bus mit dem amtl. Kennzeichen H-ZD 512 eine grüne Umweltplakette?

6. Berichterstattung

6a.) Mit welchen Mitteln meinen Sie (dem o.g. Pressebericht der HAZ zufolge) feststellen und beurteilen zu können, dass sich unter den ca. 300 Gegendemonstranten 100 „linksextreme“ Menschen befunden haben und wie definieren Sie dabei den Terminus „linksextrem“?

Vielen Dank für Ihre Arbeit und viele gute Grüße,

die Menschen vom freiheitsfoo.

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