Versammlungsbehörde Hannover-Langenhagen schreibt vor: Demonstrieren wie im Kindergarten

Bundesarchiv_Bild_183-U0315-026_Weimar,_Dichterweg,_Wohnblocks-modAm Freitag, den 17. Juli 2015 demonstrierten in Hannover-Langenhagen Menschen gegen die in Teilen menschenunwürdige Abschiebepraxis von Flüchtlingen und Ausländern und meldeten ihren Protest bei der Versammlungsbehörde in Langenhagen an.

Konkret ging es um die Abschiebung von Yahya Mohamed Seleiman, der mehrere Jahre in Hannover gelebt hat und nun nach Italien abgeschoben werden sollte, wo er Verfolgung zu befürchten hat.

Die Demonstration begann vor dem direkt neben dem Flughafen (und abseits der öffentlichen Wahrnehmung!) befindlichen Gefängnis, in dem Herr Seleiman seit drei Wochen mittels Hungerstreik auf seine verzweifelte Lage hinzuweisen versuchte, und führte dann in den Flughafen hinein. (Der gesamte Demonstrationsaufruf, entnommen einer Facebook-Eintragugng, befindet sich am Ende dieses Beitrags.)

Wir veröffentlichen hiermit die daraufhin an die anmeldende Person ergangene Demonstrationsbeschränkungen (im Amtsdeutsch: „Auflagenbescheid“) durch die Behörde.

Einige Punkte darin erscheinen uns fragwürdig und potentiell rechtswidrig – weil leider nicht juristisch gegen die „Verfügung“ angegangen worden ist, möchten wir die Punkte so wenigstens auf diesem Wege dokumentieren und öffentlich machen.

 

Zunächst der vier Seiten lange Auflagenbescheid der Stadt Langenhagen vom 17.7.2015:

Die Behörde hat also erst am Tag der Demonstration – diese begann um 18 Uhr – den Auflagenbescheid erstellt und versendet – ein an sich im Detail zu hinterfragendes Verhalten, das eine vorherige (notfalls gerichtliche) Klärung der Demonstrationsbeschränkungen praktisch unmöglich werden lässt.

 

Die Rechtmäßigkeit folgender Auflagen-Punkte sind aus unserer Sicht anzweifelbar:

 

Auflage Nr. 5

„Innerhalb des Flughafengebäudes dürfen Plakate … nur senkrecht gehalten werden.“

Warum dürfen Plakate nur senkrecht gehalten werden? Was ist, wenn Demonstrationsplakate waagerecht ausgerichtet sind und deren Schrift senkrecht nicht (gut) zu lesen ist? Die schriftliche Begründung im Bescheid erklärt diese merkwürdige Vorschrift nicht.

 

Auflage Nr. 6

„Der Versammlungsablauf … ist mit em Einsatzleiter der Polizei abzustimmen.“

Diese Pflicht ist in dieser allgemeinen und umfassend wirkenden Form nicht mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit vereinbar. Denn diese beinhaltet Gestaltungsfreiheit (in bestimmten Grenzen) und Staatsferne einer Demonstration. Beides wird hiermit unzulässig eingeschränkt.

„Sicherheitsrelevante Flächen dürfen nicht betreten werden.“

Diese Formulierung ist schwammig und kann bei der Durchführung der Demo dehnbar ausgelegt und durch die Polizeikräfte durchgesetzt werden. Eine klare Benennung von Flächen im Flughafen, auf denen nicht demonstriert werden darf, wäre hier vonnöten gewesen.

 

Auflage Nr. 7

„Mehr als zwei Personen dürfen nicht nebeneinander gehen.“

Diese Vorschrift, wie Demonstrierende und Protestierende (wie im Kindergarten) sich zu bewegen haben, ist in dieser Form unhaltbar und rechtswidrig.

Ebenso kritisch ist das generelle Verbot des Betretens der Check-In-Hallen zu sehen:

„Die Anstellflächen vor den Check-In-Schaltern dürfen nicht betreten werden, um die Fuggäste nicht zu behindern.“

Alle großen Hallen in der Abflugebene bestehen ausschließlich aus diesen „Anstellflächen“. Und dort erst kann die Demonstration ihren Zweck (die Kommunkation der Botschaft gegen menschenunwürdige Abschiebungen) entfalten, denn dort stehen diejenigen Leute, die abfliegen wollen und damit potentiell zu Miterlebenden bzw. unterstützenden oder verweigernden Mitfliegern von Abschiebeflügen werden. Die räumliche Situation am Flughafen Hannover führt weiterhin dazu, dass die Demonstration damit faktisch auf die unterste Ebene des Flughafens verbannt wird, weil die Rolltreppenverbindungen direkt in die Check-In-Hallen führen.

 

Auflage Nr. 8

„Entsprechend der gemeldeten Teilnehmerzahl dürfen nur maximal 30 Personen gleichzeitig an der Versammlung teilnehmen.“

Das geht nun gar nicht! Man kann einer Demonstration nicht pauschal eine Maximalzahl von Teilnehmern vorschreiben! Im Detail: Mal angenommen, es würden mehr als 30 Personen in der Absicht zu demonstrieren kommen (und das kann der Demoanmelder überhaupt nicht vorhersehen!) – wer hätte dann die Hoheit darüber zu entscheiden, wer von den Anwesenden sein/ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahrnehmen kann, und wer nicht? Oder soll das ganze dann in der grotesken Vorstellung enden, dass die Polizei zwei oder mehr Protestmärsche hintereinander zuließe, jede mit 30 Personen darin? Soll alternativerweise etwa gelost werden?

Weiter heißt es in der Begründung:

„Die beengten Platzverhältnisse vor den Check-In-Schaltern in der Abflugebene lassen nach Einschätzung der Versammlungsbehörde keine größere Teilnehmerzahl als 30 Personen zu.“

Dieses Begründung ist in Anbetracht der großen Ablughallen in Hannover nicht nur absurd, sie ist auch frei von jeglichem faktischen Argument. Wie begründet die Behörde ihre derart grundrechtsbeschneidende „Einschätzung“?

 

Soweit unsere Kritik.

Wir können aus rechtlichen Gründen eine derartige Entscheidung nicht anfechten, möchten aber anderen Mut machen, sich bei ähnlich derben Eingriffen in das Demonstrationsgrundrecht zu überlegen, ob man nicht mittels Widerspruch und Klage Widerstand gegen die Bürokratisierung der Versammlungsfreiheit bietet.

Der Versammlungsbehörde Langenhagen werden wir eine Kopie dieses Blogbeitrages schicken und um Kommentierung der einzelnen Kritikpunkte bitten. Sollten wir Antwort darauf erhalten, wird diese ungekürzt hier nachgetragen.

 

Anhang: Demonstrationsaufruf zur hier behandelten Versammlung
Quelle: Facebook (leider nur dort…!)

Für Yahya!
Kein Mensch ist allein!
Demonstration: Freitag, 17.07., 18 Uhr – Hannover Flughafen (S-Bahn-Station)

Yahya: Seit 1 Monat in Abschiebehaft, für 3 Wochen im Hungerstreik und den eigenen Abschiebungsflug in letzter Minute gestoppt

Seit Mitte Juni befindet sich Yahya Mohamed Seleiman in der Abschiebehaft der JVA Langenhagen. Für 3 Wochen befand sich der Aktivist des Refugee Protest Camps dort im Hungerstreik, um gegen seine erneute Abschiebung nach Italien zu protestieren.
Am Freitag, den 03.07.15, 2 Tage nach seinem 28. Geburtstag, sollte Yahya mit einem Flugzeug ab Frankfurt nach Italien abgeschoben werden. Bevor das Flugzeug startete stand Yahya aus Protest gegen seine Abschiebung auf. Als ihn der Pilot fragte, ob die Abschiebung mit seinem Einverständnis geschieht und er mit nein antwortete, schloss der Pilot die Abschiebegesellschaft vom Flug aus. Daraufhin wurde er zurück in die JVA Langenhagen gebracht.

Yahyas Protest verkörpert seine letzte Hoffnung auf ein Leben in Freiheit und Würde. In Italien hatte er auf der Straße leben müssen und war rassistischen Übergriffen ausgesetzt (Berichte s.u.). Sein komplettes soziales Netzwerk hat er sich binnen der letzten Jahre in Hannover aufgebaut.

Sein Protest steht aber nicht nur für einen Einzelfall. Er stellt auch ein Exempel auf für alle Menschen, die ein Leben in Freiheit, Würde und Selbstbestimmung an dem Ort ihrer Wahl führen wollen. Das wird Tausenden Geflüchteten durch den Wahnsinn der europäischen Asylpolitik, Abschottung und Dublin-Verordnungen unmöglich gemacht. Erst am 02.07.15 wurde im Bundestag die Asylgesetzesverschärfung beschlossen, die es ermöglicht, viel mehr Geflüchtete als zuvor in Abschiebehaft zu nehmen.

Wir wollen Yahyas kontinuierlichen Protest und seine enorme Willensstärke zum Anlass nehmen, im Flughafen Hannover zu protestieren, die JVA Langenhagen zu besuchen, und ihm zu zeigen:
Kein Mensch ist allein!

Für ein Leben in Freiheit und Würde!
Für ein solidarisches Miteinander zwischen Menschen statt Ausgrenzung!
Für Yahya!

Freitag, 17.07., 18 Uhr – Hannover Flughafen (S-Bahn-Station)

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Berichte zur Situation in Italien:
http://www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/q_PUBLIKATIONEN/2011/Italienbericht_FINAL_15MAERZ2011.pdf
http://www.proasyl.de/de/news/detail/news/sind_abschiebungen_nach_italien_menschenrechtswidrig/
http://www.welt.de/politik/ausland/article128929879/Behoerden-setzen-Fluechtlinge-auf-Parkplatz-aus.html
http://www.nds-fluerat.org/14129/aktuelles/14129/

Bild oben: Kinder eines Kindergartens beim Spaziergang, Bildquelle: Bundesarchiv, Bild 183-U0315-026 / CC-BY-SA 3.0

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