Am 2.9.2015 meldete das Bundesverfassungsgericht (BVerfG):
„In einem Normenkontrollverfahren auf Antrag des Berliner Senats hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem Beschluss die Löschung der im Rahmen des Zensus 2011 erhobenen Daten vorläufig gestoppt. (…) [D]ie Löschung der Daten könnte den Gemeinden die Möglichkeit nehmen, eine etwaige fehlerhafte Berechnung ihrer Einwohnerzahl gerichtlich effektiv überprüfen und gegebenenfalls korrigieren zu lassen. (…) Nach § 19 des Zensusgesetzes 2011 sind die erhobenen Daten spätestens vier Jahre nach dem Berichtszeitpunkt zu löschen. Diese Löschung hat bereits begonnen.“
Unter „Berichtszeitpunkt“ wird der Stichtag der Volkszählung 2011, der 9.5.2011 verstanden (siehe §1 Abs.1 ZensG2011). Das Zensusgesetz verlangt also, dass die persönlichen Volkszählungsdaten der Einwohner Deutschlands spätestens am 9.5.2015 hätten gelöscht sein müssen. Statistiker, Ämter und andere Volkszählungsbefürworter hatten gegenüber dem Arbeitskreis Zensus und anderen Kritikern immer wieder beteuert, dass die Datenlöschung nicht nur akkurat erfolgen, sondern sehr wahrscheinlich sehr viel früher als gesetzlich vorgeschrieben umgesetzt werde.
In seinem Beschluß vom 26.8.2015 berichtet das Gericht, dass „in wenigen der über tausend Verfahren“ von Städten und Kommunen gegen den Zensus 2011 bereits einstweilige Anordnungen zur Aussetzung der Datenlöschung ergangen seien. Dieses betreffe aber „nur wenige Prozent der klagenden Gemeinden und der bundesweit festgestellten Einwohnerzahlen“.
- Stimmt es also, was das BVerfG behauptet, dass einige oder alle personenbezogenen Volkszählungsdaten der Einwohner Deutschlands entgegen der gesetzlichen Vorschrift noch gar nicht gelöscht worden sind?
- Und falls daran etwas ist: Welche der Statistikämter sind an der rechtswidrigen Nicht-Löschung (sofern es keine gerichtliche Einzelverfügung dagegen gab) beteiligt?
- Weiter gemutmasst: Haben eventuell einzelne Landesstatistikämter (wie beispielsweise das Amt für Statistik Berlin-Brandburg) auf Anweisung von oben die überfällige Löschung der Volkszählungsdaten unterlassen? [Update 10.9.2015: Diese Mutmassung hat sich als falsch herausgestellt. Dafür aber anderes. Siehe Wikiseite zu diesem Thema.]
Fest steht auf jeden Fall:
Das Bundesverfassungsgericht hat eine im Vorfeld der Volkszählung eingereichte Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Einige der damals vorgetragenen Kritikpunkte haben durch die Snowden-Enthüllungen samt aller im Schlepptau damit bekannt gewordenenen Informationen über die weitreichende Nicht-Integrität digitaler Datenverarbeitung und -übertragung erheblich an Gewicht gewonnen.
Das gleiche Gericht lässt nun die gesetzlich vorgeschriebene Löschung personenbezogener Daten der Volkszählung 2011 stoppen. Es begründet das wie folgt:
„Die längere Datenspeicherung führt zu einer Vertiefung des Eingriffs in das Recht der betroffenen Bürgerinnen und Bürger auf informationelle Selbstbestimmung, der jedoch von verhältnismäßig geringem Gewicht ist. Demgegenüber haben die Vorteile, die die einstweilige Anordnung für die Rechtsschutzmöglichkeiten der Gemeinden mit sich bringt, ein erheblich höheres Gewicht.“
Es geht bei den vorliegenden Klagen der Kommunen, die die Volkszählung nachträglich kippen soll, um viel Geld – zugegeben. Und die damit verknüpfte Streitfrage wiegt nach Auffassung der Richter hier schwerer als das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.
Vielleicht wiegt aber auch die Gesamtheit der klagenden Städte und Gemeinden mit ihrer gut bezahlter Anwaltschar schwerer als eine gute Handvoll Menschenrechtler, die sich ehrenamtlich, also unbezahlt und in ihrer Freizeit engagier(t)en und dank Spenden von vielen anderen eine einzelne Anwältin bezahlt haben.