Zur Erinnerung und nun erstmals auch in englischer Sprache: Das Bundesverfassungsgericht zum „Recht auf Einsamkeit“ bzw. zum „Recht, alleine gelassen zu werden“

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Schon 1969 hat sich das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer Klage gegen den „Mikrozensus“ mit der Frage beschäftigt, inwieweit es „dem Staat“ gestattet sein darf, die ihn bildenden Menschen zu erfassen, zu kategorisieren oder in ihre innersten Rückzugsräume einzudringen. Dabei spricht das Gericht vom „Recht auf Einsamkeit“ oder vom „Recht, alleine gelassen zu werden“, wie wir es ausdrücken würden.

Auf eine Informationsfreiheitsgesetz-Anfrage hin (IFG) hat das Karlsruher Gericht uns nun eine englische Übersetzung dieses Urteils zur Verfügung gestellt, die wir erstmals im Netz und im datenverarbeitungsfreundlichen Format veröffentlichen.

Die unserer Meinung nach wichtige Passage des Beschlusses vom 16. Juli 1969 der Randnummern 32 bis 34 (Hervorhebungen durch uns):

In der Wertordnung des Grundgesetzes ist die Menschenwürde der oberste Wert. Wie alle Bestimmungen des Grundgesetzes beherrscht dieses Bekenntnis zu der Würde des Menschen auch den Art. 2 Abs. 1 GG. Der Staat darf durch keine Maßnahme, auch nicht durch ein Gesetz, die Würde des Menschen verletzen oder sonst über die in Art. 2 Abs. 1 GG gezogenen Schranken hinaus die Freiheit der Person in ihrem Wesensgehalt antasten. Damit gewährt das Grundgesetz dem einzelnen Bürger einen unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung, der der Einwirkung der öffentlichen Gewalt entzogen ist.

Im Lichte dieses Menschenbildes kommt dem Menschen in der Gemeinschaft ein sozialer Wert- und Achtungsanspruch zu. Es widerspricht der menschlichen Würde, den Menschen zum bloßen Objekt im Staat zu machen. Mit der Menschenwürde wäre es nicht zu vereinbaren, wenn der Staat das Recht für sich in Anspruch nehmen könnte, den Menschen zwangsweise in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren, sei es auch in der Anonymität einer statistischen Erhebung, und ihn damit wie eine Sache zu behandeln, die einer Bestandsaufnahme in jeder Beziehung zugänglich ist.

Ein solches Eindringen in den Persönlichkeitsbereich durch eine umfassende Einsichtnahme in die persönlichen Verhältnisse seiner Bürger ist dem Staat auch deshalb versagt, weil dem Einzelnen um der freien und selbstverantwortlichen Entfaltung seiner Persönlichkeit willen ein „Innenraum“ verbleiben muß, in dem er „sich selbst besitzt“ und „in den er sich zurückziehen kann, zu dem die Umwelt keinen Zutritt hat, in dem man in Ruhe gelassen wird und ein Recht auf Einsamkeit genießt“. In diesen Bereich kann der Staat unter Umständen bereits durch eine – wenn auch bewertungsneutrale – Einsichtnahme eingreifen, die die freie Entfaltung der Persönlichkeit durch den psychischen Druck öffentlicher Anteilnahme zu hemmen vermag.

Wir freuen uns über diese klaren Worte, fürchten aber zugleich, dass sich das Bundesverfassungsgericht (und andere Gerichte dieses Landes) im Laufe der Zeit nicht mehr stringent an diese Bewertung gebunden fühlt.

Übrigens wurde gerade der letzte Absatz des von uns zitierten Ausschnitts aus dem Mikrozensus-Urteil bei einem aktuellen Übersetzungsprojekt des obersten deutschen Gerichtes nicht übersetzt. Warum nicht, das wird aus einer Rückmeldung aus Karlsruhe auf Nachfrage dazu leider nicht ersichtlich: https://fragdenstaat.de/anfrage/englische-ubersetzung-des-mikrozensus-urteils-1/#nachricht-23685 (Wir haben diese Lücke durch eine eigene Übersetzung zu schließen versucht.)

Ob sich die Verfassungsrichter auch heute noch in dieser Deutlichkeit zu den Grundlagen einer freiheitlichen Gesellschaft bekennen würden?

Die Gesamtheit des Mikrozensus-Urteils gibt es auf unseren Wikiseiten – dort auch mit Links zu Plaintext-Dateien (de/en).

Wikiseite deutsch: https://wiki.freiheitsfoo.de/pmwiki.php?n=Main.Mikrozensus-Urteil

Wikiseite englisch: https://wiki.freiheitsfoo.de/pmwiki.php?n=Main.Microcensus-Case

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