EU-Kommission erwägt neue Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung

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Am 3. November 2014, nur wenige Tage nach Einführung der neuen EU-Kommission, haben wir dem Nachfolger von Cecilia Malmström, dem neuen EU-Innen-Kommissar Dimitris Avramopoulos einen Brief geschrieben. Anlaß waren dessen Äußerungen im Rahmen seiner Bewerbungs-Anhörung im EU-Parlament zur Vorratsdatenspeicherung. Diese ließen vermuten, dass der neue Innenkommissar entgegen dem Urteil des EuGH vom 8. April 2014 eine neue EU-Richtlinie zur anlaßlosen und flächendeckenden Erfassung und Speicherung von TK-Verbindungsdaten anstreben könnte.

In unserem Brief haben wir dazu nachgefragt und uns nach einer genaueren Standpunkterläuterung zu den Brüsseler Plänen zur Vorratsdatenspeicherung erkundigt.

Kurz vor Weihnachten haben wir Post vom EU-Kommissar erhalten. Dessen Schreiben bleibt zwar ähnlich diplomatisch unspezifisch wie seine Rede vor dem EU-Parlament – zwischen den Zeilen gelesen lässt sich jedoch erahnen, was die Absichten von Herrn Avramopoulos und seinem Bürokratenapparat tatsächlich zu sein scheinen …

 

Zunächst der von uns ins Deutsche übersetzte Inhalt des Schreibens (das Original findet sich hier):

Sehr geehrte xxx,

Kommissar Avramopoulos hat mich gebeten, Ihnen für Ihr Schreiben vom 3. November 2014 über die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung und das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 8. April 2014 zu danken.

Wie der Kommissar in der mündlichen Verhandlung im LIBE-Ausschuss zum 30. September deutlich gemacht hat, ist die alte Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ungültig. Die zentrale Botschaft des Gerichts die Entscheidung über die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ist, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten durch klare und präzise Regeln geschützt und reguliert werden muss. Die alte Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung erfüllt diese Anforderungen nicht.

Zugleich bewertete der Gerichtshof, dass eine Vorratsdatenspeicherung dem Wesen der Grundrechte nicht grundsätzlich zuwider ist. Telekommunikationsdaten können für die Strafverfolgungsbehörden zur Verhinderung und Verfolgung von schwerer Kriminalität und Terrorismus von entscheidender Bedeutung sein, aber jede Politik in diesem Bereich muss zur gleichen Zeit die volle Wahrung des Rechts auf Privatsphäre und den Schutz personenbezogener Daten, die Sicherheit der Bürger und das gute Funktionieren des Binnenmarktes gewährleisten. Die neue Kommission wird die besten Optionen für ein Vorwärtskommen zur Speicherung von Telekommunikationsdaten untersuchen und alle diese Ansprüche dabei berücksichtigen.

Der Kommissar wird zu diesem Zweck enge Abstimmungen mit seinen für Grundrechte, den Datenschutz und die Informationsgesellschaft zuständigen Kollegen vornehmen. Die Kommission wird diesen Abwägungsprozess in einem offenen Dialog mit dem Europäischen Parlament, mit den Mitgliedstaaten, den Bürgern, den Datenschutzbehörden und mit der Industrie durchzuführen. Auf dieser Grundlage wird die Kommission in der Lage sein eine Position einzunehmen die Notwendigkeit oder Nichtnotwendigkeit eines neuen Richtlinienvorschlags einzunehmen. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes und die Grudnrechte auf Privatsphäre und Datenschutz werden dabei berücksichtigt.

Damit hoffe ich, Ihre Bedenken ausgeräumt zu haben.

Mit freundlichen Grüßen,

Tatsächlich hat Herr Avramopoulos bzw. sein Mitarbeiter alles andere als unsere Bedenken ausgeräumt, sondern im Gegenteil unsere Sorgen nur noch weiter bestätigt.

 

Unsere Interpretation des Briefes aus Brüssel lautet nämlich wie folgt:

  • Herr Avramopoulos (oder sein Mitarbeiter?) führt in seiner Bewertung des vorletzten Absatzes ausschließlich diejenigen Teile des EuGH-Urteils an, die dem daran Interessierten dazu dienen sollen, eine neue VDS-Richtlinie zu begründen. Die mindestens genaus so starken Argumente und Hinweise des Gerichtshofs, die eine pauschale, anlasslose und flächendeckende VDS u.a. strikt untersagen, werden mit keinem einzigen Wort gewürdigt, obwohl wir in unserem Schreiben ausdrücklich darauf hinwgewiesen hatten. (Oder direkt unter den folgenden Randnummern des EuGH-Urteils nachlesen: 31, 51, 52, 55, 58 und 59.) Diese einseitige Darstellung legt den Schluß nahe, dass es Herrn Avramopoulos daran liegt, eine Vorratsdatenspeicherung vom in Kern her bekannten Stile wieder einzuführen.
  • Der letzte Absatz seines Briefes dagegen soll glauben machen, als würden im Vorfeld der nächsten EU-VDS-Richtlinien-Entstehung alle „Beteiligten“ gerecht zu Wort kommen und Einfluß nehmen können. (Schon bemerkenswert, dass „das Funktionieren des Binnenmarktes“ und die Interessen der „Industrie“ auf eine Ebene mit Menschenrechten und Grundrechten gehoben und in gleichem Atemzuge genannt werden …) Die Erfahrungen der Jahre 2008 bis 2012 beweisen, dass es sich hierbei nur um Scheinbeteiligungen handelt: Seit Jahr und Tag wurden viele der Argumente, die der EuGH 2014 in seinem Urteil angeführt hat, seitens des AK Vorrat in Brüssel an die Kommission herangetragen. Sie hat sich auf vornehme Begründungen verweisend diesen bis zuletzt verschlossen gezeigt und damit eine grundrechtsverletzende Massenüberwachung nahezu aller EU-Bürger eingeführt.
  • Dem ist noch hinzuzufügen, dass Herr Avramopoulos unsere Forderung, als EU-Innenkommissar nun tätig zu werden, diesen massiven EU-Grundrechtsverletzungen mit einem EU-weiten Verbot der Vorratsdatenspeicherung zu begegnen, einfach völlig ignoriert – mit keinem einzigen Wort darauf eingeht. Auch dieses bewusste Ausblenden einer Forderung spricht Bände bzw. lässt zwischen den Zeilen mutmasslich erkennen, woher der Wind beim neuen EU-Innenkommissar weht.
  • Weiterhin gibt es jenseits dieses Briefes weitere Informationen aus Brüssel, wonach die Kommission die Absicht verfolgt, einzelnen EU-Mitgliedsstaaten aus bestimmten Gründen (wie z.B. aus „der Notwendigkeit zum Erhalt der Sicherheit des Staats“ – so was zieht bekanntlich immer!) eine zeitlich befristete Vorratsdatenspeicherung zu genehmigen. Mit so einem Trick (es ist zu vermuten, dass die „Zulassung zur VDS“ dann immer wieder anstandslos verlängert wird) würde „Brüssel“ versuchen, eine Kritik des EuGH zu begegnen, wonach eine zeitlich unbefristete VDS generell unzulässig ist. (Siehe Randnummer 59 des Urteils.)

 

Wir möchten versuchen, dem etwas entgegenzuhalten.

 

[UPDATE 5.2.2015]

 

Wir haben Herrn Avramopoulos einen zweiten Brief geschrieben:

Sehr geehrter Herr Avramopoulos,
sehr geehrter Herr Ruete,

Danke für Ihren Brief vom 22.12.2014.

Weil Sie leider gar nicht auf die uns vorgebrachten Verweise zum EuGH-Urteil zur Vorratsdatenspeicherung eingegangen sind, möchten wir diese Ihnen nun wortgetreu zitieren. Es ging hauptsächlich um die Randnummern 51, 52, 55, 58 und 59. Diese lauten in dieser Reihenfolge:

Randnummer 51

Zur Erforderlichkeit der durch die Richtlinie 2006/24 vorgeschriebenen Vorratsspeicherung der Daten ist festzustellen, dass zwar die Bekämpfung schwerer Kriminalität, insbesondere der organisierten Kriminalität und des Terrorismus, von größter Bedeutung für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit ist und dass ihre Wirksamkeit in hohem Maß von der Nutzung moderner Ermittlungstechniken abhängen kann. Eine solche dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung kann jedoch, so grundlegend sie auch sein mag, für sich genommen die Erforderlichkeit einer Speicherungsmaßnahme – wie sie die Richtlinie 2006/24 vorsieht – für die Kriminalitätsbekämpfung nicht rechtfertigen.

Randnummer 52

Der Schutz des Grundrechts auf Achtung des Privatlebens verlangt nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs jedenfalls, dass sich die Ausnahmen vom Schutz personenbezogener Daten und dessen Einschränkungen auf das absolut Notwendige beschränken müssen (Urteil IPI, C-473/12, EU:C:2013:715, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Randnummer 55

Das Erfordernis, über solche Garantien zu verfügen, ist umso bedeutsamer, wenn die personenbezogenen Daten, wie in der Richtlinie 2006/24 vorgesehen, automatisch verarbeitet werden und eine erhebliche Gefahr des unberechtigten Zugangs zu diesen Daten besteht (vgl. entsprechend, zu Art. 8 EMRK, Urteil des EGMR S und Marper/Vereinigtes Königreich, § 103, sowie M. K./Frankreich vom 18. April 2013, Nr. 19522/09, § 35).

Randnummer 58

Die Richtlinie 2006/24 betrifft nämlich zum einen in umfassender Weise alle Personen, die elektronische Kommunikationsdienste nutzen, ohne dass sich jedoch die Personen, deren Daten auf Vorrat gespeichert werden, auch nur mittelbar in einer Lage befinden, die Anlass zur Strafverfolgung geben könnte. Sie gilt also auch für Personen, bei denen keinerlei Anhaltspunkt dafür besteht, dass ihr Verhalten in einem auch nur mittelbaren oder entfernten Zusammenhang mit schweren Straftaten stehen könnte. Zudem sieht sie keinerlei Ausnahme vor, so dass sie auch für Personen gilt, deren Kommunikationsvorgänge nach den nationalen Rechtsvorschriften dem Berufsgeheimnis unterliegen.

Randnummer 59

Zum anderen soll die Richtlinie zwar zur Bekämpfung schwerer Kriminalität beitragen, verlangt aber keinen Zusammenhang zwischen den Daten, deren Vorratsspeicherung vorgesehen ist, und einer Bedrohung der öffentlichen Sicherheit; insbesondere beschränkt sie die Vorratsspeicherung weder auf die Daten eines bestimmten Zeitraums und/oder eines bestimmten geografischen Gebiets und/oder eines bestimmten Personenkreises, der in irgendeiner Weise in eine schwere Straftat verwickelt sein könnte, noch auf Personen, deren auf Vorrat gespeicherte Daten aus anderen Gründen zur Verhütung, Feststellung oder Verfolgung schwerer Straftaten beitragen könnten.

a.) Und wir würden darauf bezogen gerne von Ihnen erfahren, wie Sie die von Ihnen angedachte Neuauflage einer EU-Richtlinie zur anlasslosen und flächendeckenden Erfassung und Speicherung sämtlicher TK-Verbindungsdaten aller in EU-Europa lebenden Menschen („Vorratsdatenspeicherung“ bzw. „VDS“) mit diesen Aussagen unter einen Hut meinen bringen zu können.

b.) Weiter bitten wir um die konkrete Benennung des Fahrplans und der Termine und geplanten Gesprächsrunden und -partnern zu den geplanten „Abstimmungen“ und „Abwägungsprozessen“ zur Andenkung einer solchen neuen Vorratsdatenspeicherungs-Richtlinie, wie von Ihnen im Schreiben angesprochen.

c.) Wir fordern von Ihnen, diese Treffen rechtzeitig, öffentlich und breit anzukündigen, fordern die Ermöglichung der kritischen Begleitung durch die allgemeine Öffentlichkeit und weitgehende Transparenz, d.h. eine unverzügliche und allgemein zugängliche Dokumentierung dieser Treffen.

d.) In welchem Umfang werden hierbei Einzelne oder Gruppen aus der „Zivilgesellschaft“ beteiligt?

e.) Werden auch wir dort Gehör erhalten und gibt es für Non-Profit-Gruppen ohne Budget (wie die unsrige) eine Fahrtkostenerstattung für solche Gesprächsrunden?

f.) Stimmt das Gerücht, wonach die EU-Kommission plant oder durchdenkt, einzelnen EU-Mitgliedsstaaten mittels zeitlicher Befristung sozusagen eine Einzelerlaubnis zur Durchführung einer Vorratsdatenspeicherung zu erteilen oder eine entsprechende länderbezogene Regelung dazu zu dulden, solange diese gesetzlich befristet worden ist?

g.) Leider sind Sie ebenfalls mit keinem Wort auf unsere Forderung des vorletzten Absatzes in unserem Brief eingegangen, wonach wir Sie als EU-Innen-Kommissar dafür verantwortlich sehen, nicht nur keine neue EU-VDS-Richtlinie zu erlassen, sondern die von der Kommission verschuldete Situation zu bereinigen, wonach eine Großzahl der EU-Mitgliedsstaaten „dank“ der als EU-grundrechtswidrig verurteilten alten VDS-Richtlinie derzeit eine solche rechtswidrige Vorratsdatenspeicherung betreiben. Wir verlangen von Ihnen also, sich für die Abschaffung oder Veränderung der jeweils zur VDS zugrunde liegenden EU-Ländergesetze einzusetzen und dazu die Gespräche mit den EU-Institutionen und mit den EU-Länder-Verantwortlichen zu suchen. Und eigentlich teilen Sie ja sogar unsere Ansicht soweit, wenn Sie am 21.1.2015 beim 2112. Treffen der EU-Kommission gesagt haben sollen:

„Returning to the consequences of the European Court judgment which invalidated the Data Retention Directive, he pointed out that personal data remained subject to the rules laid down by the Member States, which in turn had to comply with the fundamental principles of European law, in particular the ePrivacy Directive.“

Bitte teilen Sie uns also mit, warum Sie diese unsere Forderung ignoriert haben und warum Sie bislang (jedenfalls nicht nach außen erkennbar) den Weg noch nicht eingeschlagen haben, für eine Abschaffung oder Änderung der Ländergesetze zur VDS einzutreten.

h.) Ebenfalls am 21.1.2015 hat die EU-Kommission der Berichterstattung zufolge beschlossen:

„With regard to the Data Retention Directive recently invalidated by the European Court of Justice, the wish to prioritise a prudent and robust approach in this complex matter, taking due account of the risk of possible restrictions of freedoms and social media to be included in the scope of a possible new version of the proposal to make it effective.“

Bitte erläutern Sie uns, was mit der Einbeziehung „sozialer Medien“ in Hinsicht auf Errichtung einer möglichen neuen EU-VDS-Richtlinie im Detail bedeuten soll oder kann. In welchem Umfang sollen Inhalts- oder Verbindungsdaten der Nutzung „sozialer Medien“ im Internet (Ihrer unverbindlichen Ansicht nach!) in eine Regelung zur anlasslosen und umfassenden Erfassung und Vorratsspeicherung eingebunden werden? Es scheint ja offenbar irgendwelche Vorstellungen hierzu zu geben.

Wir würden uns freuen, wenn Sie uns möglichst sowohl in deutsch als auch in englisch antworten könnten.

Viele gute Grüße,

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