Tun und (Unter-)Lassen des „Verfassungsschutzes“ (VS) in der NSU-Mordserie beschäftigen seit über zwei Jahren die Öffentlichkeit. Vier Untersuchungsausschüsse (Bund, Thüringen, Sachsen, Bayern und keiner in Baden-Württemberg) versuch(t)en sich dabei an einer parlamentarischen Aufarbeitung und folgern soweit, dass allein Inkompetenz das Versagen von Inlandsgeheimdienst und Polizeien wohl nicht erklärt. Angehörige der Opfer sowie migrantische und antirassistische Initiativen prangerten weiterführend in den jeweiligen Mordermittlungen sowie grundsätzlich den institutionellen Rassismus in Polizei und (Verfassungs-)Behörden an. Und ja, selbst konservative Medien fragten zwischendurch im alltäglichen Geschrei über Aktenvernichtungen, Strafvereitelungen, vergesslichen und skurilen VS-Persönlichkeiten, ob nicht vielleicht grundlegend die Frage nach der Legitimität des VS gestellt werden muss. Dies nicht zuletzt aufgrund der vielen Ungereimtheiten in der Darstellung der Ereignisse durch VS und Polizeien, der „Braunzonen“ von staatlich allimentierten faschistischen Szenen über V-Personen und Verfassungschützer*innen mit zweifelhafter politischer Eignung (siehe hier und hier) bis zur aktiven Behinderung diverser NSU-Mordermittlungen und der (parlamentarischen) Aufklärungsarbeit.
Dennoch gab es außer den erwartbaren personellen Veränderungen unterhalb der ministerialen Ebene in den einzelnen „Verfassungschutzbehörden“ bislang keine politischen Konsequenzen. Anstatt das die in der Aufarbeitung der NSU sichtbar gewordenen Strukturen zu einem Nachdenken über Ausrichtung, Methoden und prinzipiell der Konzeption und Existenz eines Inlandsgeheimdienstes in der Demokratie führt, arbeiten die Regierungskoalitionen in Bund und Ländern unverdrossen weiter an Intergration und Ausbau der Sicherheitsarchitektur. Die offen gelegten Ungeheuerlichkeiten aus NSU-Morden und NSA-GHCQ-BND-BfV-& More Eyes-Totalüberwachung werden dabei entweder als Mangel an Befugnissen und Möglichkeiten des Sicherheitsapperates umgelogen oder als gesetzlich legal und deshalb legitim dargestellt. Grundsätzliche ethische und politische Fragen sollen so marginalisiert werden und allerhöchtens noch als Frage der (parlamentarischen) Kontrolle auftauchen.
Das schädliche und skandalträchtige Wirken des „Verfassungsschutzes“ reicht dabei viele Jahrzehnte zurück (u.a. Berufsverbote, „Celler Loch“, Aufbau und Unterstützung gewalttätiger Gruppen und Aktionen). Genauso lange kritisieren Demokratie- und Menschenrechtsorganisation bereits Existenz und Methoden des Inlandsgeheimdienst als Instrumente zentrierter Herrschaft, die mit den von ihnen selbst geprägten Sicherheits- und Gefahrenbegriffen nur repressive Zugriffsmöglichkeiten und ideologische Disziplinierung schaffen und deshalb unvereinbar mit demokratischen Gesellschaften sind.
Im Angesicht der aktuellen Skandale ist am vergangenen Wochenende nun eine bundesweite Kampagne unter dem eindeutigen Titel „Verfassungsschutz abschaffen!“ gestartet. Rund 30 Menschen aus verschiedenen Gegenden und Zusammenhängen trafen sich knapp drei Tage lang in Hannover, um zu dieser Forderung eine breite Initiative auf die Beine zu stellen. Angeschoben und organisiert wird die Kampagne von der Humanistischen Union, die bereits im September letzten Jahres zusammen mit anderen Gruppen ein Memorandum zur Abschaffung der Verfassungsschutzämter veröffentlicht hat.
Der Kampagnenauftakt in Hannover wurde dazu genutzt, um mit einer symbolischen Schließung die Absichten des Bündnisses am so genannten „Niedersächsischen Landesamt für Verfassungsschutz“ zu exemplifizieren. Diese friedliche Versammlung wurde – wie von uns schon einmal erlebt – vermutlich rechtswidrig von den Behörden gefilmt und aufgezeichnet. Ob die an den Stelen des Eingangsbereichs angebrachten und damit mitten in der Demonstration befindlichen Freisprechanlagen der Behörde dazu genutzt worden sind, die Protestierenden abzuhören oder unzulässigerweise zu belauschen ist ebenfalls nicht klar und Gegenstand eines Briefes, den wir an das Amt gerichtet haben.
Wir von freiheitsfoo unterstützen die Kampagne „Verfassungsschutz abschaffen!“ und hoffen in deren Rahmen möglichst vielen Menschen verdeutlichen zu können, dass die „Verfassungsschutzämter“ demokratiefeindlich, unkontrollierbar, in Straftaten und menschenrechtsverletzende Handlungen verwickelt und daher so gefährlich wie überflüssig sind. Was unter dem euphemistischen Namen des „Verfassungsschutzes“ daher kommt ist ein Inlandsgeheimdienst, der unausweichlich geheim agieren muss und sich – das zeigt die Erfahrung der letzten Jahrzehnte – parlamentarisch und rechtlich nicht bändigen oder kontrollieren lassen kann. Menschen und politische Initiativen werden durch ihn zu Unrecht überwacht, verleumndet und erleiden andere Repressionen, gegen die es aufgrund vorgeschobener Staatssicherheitsgründe keinen Rechtsschutz gibt. Großflächig geschwärzte Dokumente in den Händen machtloser öffentlicher Gerichte und parallel tagende Geheimgerichte (in-camera-Verfahren) sind zur abstoßenden wie sinnbildlichen Praxis in diesem Land geworden.
Geheimdienste sind ein schmerzender Stachel in einer Gemeinschaft von Menschen, die freiheitlich und einander würdigend und achtend zusammen leben möchten und gehören somit abgeschafft!
Weitere Links
- Homepage „www.verfassung-schuetzen.de“ der Kampagne
- Fotos von der Schließung des „Niedersächsischen Landesamts für Verfassungsschutz“ (auf Flickr)
- Film von der Schließung des „Niedersächsischen Landesamts für Verfassungsschutz“
- Lesenswerter Bericht über ein Zusammentreffen von „Verfassungsschutzamts“-Kritikern mit dem Präsidenten des Bundesamts für „Verfassungsschutz“ im September 2013
- Unsere Wiki-Seite zu dieser Kampagne