Das Marketing des E-Persos: Der Chaos Computer Club als Krisenherd Nr. 1, Make-Up-Etuis für die Beraterdamen und eine exklusive, vom Bundesinnenministerium bezahlte Medien-Propaganda durch den Axel-Springer-Verlag

e-perso-goldene-regelnIm März 2013 hat Michael Ebeling von freiheitsfoo beim Bundesinnenministerium nachgefragt, wie es denn zur Umbenennung des „elektronischen Personalausweises“ zum „neuen Personalausweises“ gekommen ist (siehe „vom neusprech des neuen personalausweises“ und  „e-perso: neusprech ist geheimsache“ und „e-perso: pr-strategie kostete 76.000 euro“). Neben der Information, dass dazu eine rund 76.000 Euro teure „Kommunikationsstrategie“ eingekauft worden ist hielt sich das Ministerium sehr bedeckt:

Das mit Steuergeldern bezahlte Werbekampagnenkonzept wurde als „vertraulich“ eingestuft und selbst die darin entwickelten „Goldenen Regeln“ sah man als zu geheim an, als dass man sie anlässlich einer IFG-Anfrage herausrücken wollte.

Dieser Faden wurde von dem Piraten Bernhard Kern eigeninitiativ aufgegriffen (https://nute11a.delphinus.uberspace.de/?p=1458) und mittels einer weiteren IFG-Anfrage auf dem Informationsfreiheitsportal www.fragdenstaat.de hat es dieser nun geschafft, das 50seitige „Handbuch zur Kampagne“ zu befreien und online zu stellen:

https://fragdenstaat.de/files/foi/12552/kommunikationsregeln.pdf

Dafür einen großen und herzlichen Dank an Bernhard Kern und dass er uns darüber in Kenntnis gesetzt hat!

Dieses Handbuch zur E-Perso-Kampagne hat es in sich

Es zeigt, auf welche manipulative Art und Weise das Bundesinnenministerium versucht, die Schwächen und Gefahren des elektronischen Personalausweises (im Neusprech: „neuer Personalausweis“) zu verheimlichen und welche ungeheuren Ausmaße die bezahlte Zusammenarbeit mit einigen großen Medienunternehmen sowie die geplanten Einflußnahmen auf die „Blogosphäre“ im heutigen Politikgeschäft angenommen haben.

Das vom Ministerium freigegebene Dokument ist leider (zufällig?) von schlechter Scan-Qualität und lässt sich nicht ohne weiteres zu einem elektronisch auswertbaren Text umwandeln.

Wir haben uns deswegen die Mühe gemacht, die aus unserer Sicht wesentlichen Teile des 50seitigen Handbuchs zu transkribieren und stellen diese Arbeit hiermit der Öffentlichkeit zur Verfügung:

http://freiheitsfoo.de/handbuch-zur-e-perso-kampagne/

Im nachfolgenden das, was uns beim Lesen des PR-Handbuchs in chronologischer Reihenfolge des Durchlesens aufgefallen ist:

  • Interessant: Die Bewertung der „Blogosphäre“ und ihres Einflusses auf die öffentliche Diskussion aus der Sicht eines PR-Unternehmens im Jahre 2009 (Kapitel 2.1.2 und 13)
  • Sämtliche Contra-Argumente zum E-Perso werden pauschal als „emotional“ und irrational verurteilt. (2.2)
  • Aufgefallen: Der „wir“-Habitus in den „Goldenen Regeln“ und im Handbuch insgesamt.
  • Das seltsame Aussehen des veröffentlichten Handbuch-Scans bei der „Goldenen Regel Nr. 2“. Möglicherweise wurde hier „Hand anglegt“ und das Dokument nachträglich inhaltlich verändert!? Dieser Verdacht sollte möglichst überprüft/widerlegt werden. Die gleichen Auffälligkeiten finden sich im späteren Verlauf auch noch bei den „Goldenen Regeln“ Nr. 4, 5 und 11 (2.3, 5.1, 5.2, 6.2)
  • Es gibt ein seltsames Selbstverständnis von der „Verantwortlichkeit“ der Bundes- und Landes-Parlamentarier in der Hinsicht, dass diese den E-Perso unbedingt voranzutreiben hätten. (4.1.4)
  • Notiert: Die Bezeichnung der internetaffinen Menschen als (sinngemäß) „2-Millionen-Gemeinde“ bzw. „Digitalen Bohème“. (4.2 und z.B. 5.1)
  • Sorgen und Kritik am E-Perso werden als „missverständliche Befürchtungen“ abgewertet. (5.2)
  • Vorgeschlagen wurde eine PR-orientierte Konzentration auf den Begriff des (wohlvertrauten und gemeinhin akzeptierten) „Personalausweises“ – das Adjektiv „neu“ anstelle von „elektronisch“ sollte nur einen abwehrenden Charakter haben. Das scheint sich unseres Erachtens heute etwas anders darzustellen. (5.2)
  • Bemerkenswert: Die postulierten „Überzeugungsbegriffe“ im Slogan „Freiheit, Offenheit und Selbstbestimmung“ finden sich in aktuellen Flyern und Bewerbungen zum E-Perso nicht wieder. (5.3)
  • Das BMI sollte bei den „passenden“ Gelegenheiten an den angeblich sich selbst gesetzten Anspruch im Umgang mit sachlich fragenden Menschen erinnert werden: „Erreichbarkeit, Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit …“ Dabei fühlt sich das Ministerium nur solange an diese hehren Ziele gebunden, solange das Gegenüber (seiner Meinung nach) ebenfalls all diese Kriterien erfüllt. Das ist ein sehr sehr seltsames Selbstverständnis im Umgang mit „Respekt, Sachlichkeit, Ehrlichkeit und Recht“! (5.4)
  • Die geforderte „positive Darstellung der Ergebnisse des Anwendungstests in der Öffentlichkeit und der Wirtschaft“ ist in unseren Augen nichts anderes als ein bewusster Manipulationsversuch – eine Täuschung durch vorsätzliche Einseitigkeit. (5.5)
  • Sehr aufschlussreich ist der Absatz über den bereits vorgesehenen „Partner-Krisenfall“. Es ist die Rede von „Krisenszenarien“, „Krisenprävention“ und einem „präventiven Krisenworkshop“ … auch das riecht stark nach medialer Manipulation im Graubereich des Zulässigen. (5.5)
  • Es findet eine gewisse Entmündigung bzw. ein Nicht-Ernstnehmen der Bürgerinnen und Bürger statt, wenn man ganz bewusst darauf abzielt, den E-Perso im öffentlichen Erscheinungsbild von seinem Urheber und Verantwortlichen, den staatlichen Behörden, zu entkoppeln. Zitat: „Diese Mechanik vermeidet Verwirrung auf Seiten der Adressaten, weil keine komplexe Aufklärung über die Rollen der föderalen Ebenen im Meldewesen erforderlich wird.“ Es ist keine komplexe, bzw. umfangreiche Aufklärung gewünscht? Dazu fällt uns nur das Kinderlied „Ihr Kinderlein kommet“ ein … (6.3)
  • Die Aufforderung zur einseitig positiven Darstellung des E-Persos als „persönlich, einfach, vielseitig und nützlich“ ist ebenfalls eine unsachliche Manipulation. Gleiches gilt für die Aufforderung, den E-Perso mit einem Posessivpronomen auszustatten: „Ihr neuer Personalausweis“. (6.4)
  • Der Chaos Computer Club wird ausdrücklich und an erster Stelle als Krisenerzeuger bzw. Krisenquelle dargestellt/gebrandmarkt. Der CCC als größte Gefahr für den E-Perso? o_O (7)
  • Ansonsten ist sehr interessant und aufschlußreich, was bzw. wen man als mögliche „Krisenherde“ weiterhin ausmacht: Scheitern von E-Perso-Anwendungen, Abspringen von Partnerunternehmen, „Überwinden von Sicherheitsbarrieren“, Scheitern der elektronischen Gesundheitskarte, Sicherheitsmängel im DE-Mail-Projekt, Abhandenkommen von sensiblen Ausweisdaten, weitere Verzögerungen in der Umsetzung, Probleme zwischen Bund und Bundesdruckerei. (7) [Dazu hören „wir“ uns gerne noch einmal den damaligen Innenminister Thomas de Maiziere an.]
  • Eine etwaige konstruktive Kritik von Partnerunternehmen an der Sicherheit des E-Persos ist für das BMI ebenfalls nichts anderes als eine „Krise“. (7)
  • Denjenigen Behördenmitarbeitern, die den E-Perso „verkaufen“ sollen werden als Merchandising-Produkte u.a. mit auf den Weg gegeben: Visitenkarten mit Etui, Make-Up-Etui und schminkspiegel oder ein Halstuhc „für die Dame“, Kamm oder Krawatte „für den Herren“, Erfrischungstücher, Halsbonbons und Schokotafeln … und dann das noch: „eine dezente, kleine Flasche Desinfektionsmittel sorgen für eine kundenfreundliche Atmosphäre“ … o_O (9.3.2)
  • Es werden eigeninitiativ große Zeitungen, Zeitschriften und Fachzeitschriften „besucht“ und „mögliche Kooperationen“ besprochen und entwickelt. Ist das noch eine duldbare Einflußnahme in die „freie“ Presse? (9.5.3)
  • Unglaublich, aber wahr: Der Axel-Springer-Verlag geht eine exklusive (vertragliche?) Bindung mit der Bundesregierung ein und wird vom Bundesinnenministerium dafür bezahlt, den E-Perso in Bild, Welt & Co. als „Volksausweis“ zu propagandieren. Regelmäßig wiederkehrend und selbstverständlich nur unter Nennung der Vorteile. Was das wohl gekostet hat? Und warum stößt sich niemand an dieser bedenklichen Begriffswahl? (9.5.4)
  • Weiteren Einfluß will man durch „aktive Teilnahme an BarCamps und alternativen Events“ ausüben (eine offene oder verdeckte Teilnahme?) sowie durch „Kooperationen“ mit Heise Online und Netzpolitik (wer ist mit „Netzpolitik“ gemeint?). In welchem Umfang ist es hierzu tatsächlich gekommen? Gab es Geld- oder Sachspenden an Heise oder netzpolitik.org oder zumindest Versuche solcher Einflußnahmen? Gab es verdeckte Teilnehmer an Barcamps – also V-Leute, die gegen Geld die Pro-Argumente des E-Persos gepusht haben? Ist das BMI jetzt zum Nachrichtendienst mutiert, alles im Sinne des Erfolgs vom E-Perso? (9.6)

 

[Update 30.10.2013]

Nach Angaben der Frankfurter Rundschau distanziert sich das BMI nun von dem PR-Handbuch:

Das Kommunikationskonzept sei „leidglich ein Vorschlag der PR-Agentur und nicht die Auffassung des Bundesinnenministeriums. Von den Vorschlägen wurden einige Vorschläge aufgegriffen und umgesetzt und viele nicht. Eine Medienpartnerschaft mit dem Axel-Springer-Verlag wurde nicht vereinbart.“

eperso-schokotafel-cebit2012Den folgenden geistreichen Einfall der Münchner Profi-Werbe“fachleute“ aus dem PR-Handbuch fanden die Menschen im Ministerium aber offenbar nicht dumm genug, um dafür Steuergeld auszugeben, wie das nebenstehende Foto von der CeBIT 2012 beweist:

Der neue Personalausweis ist erklärungsbedürftig. (…) Schokotafeln im Ausweisformat bringen die nötige Energie, wenn ein Gespräch mal etwas länger gedauert hat.

Bilder: Oben: Die 14 „Goldenen Regeln“, zusammengetragen aus dem Inhalt des vom BMI veröffentlichen Handbuchscans, Unten: Der E-Perso als „Energielieferant“ für „länger dauernde Gespräche“ auf der CeBIT 2012.

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