Eine neue deutsche Vorratsdatenspeicherung-Gesetzgebung: Die De-Maiziere’sche Abkehr vom Transparenzprinzip der Politik

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Nachdem der Prozess für eine neue EU-weite Regelung zur Vorratsdatenspeicherung zwar angelaufen, aber vermutlich noch einige Jahre „Reifezeit“ benötigen wird, mehren sich in Deutschland die Stimmen für einen nationalen Alleingang, also eine vom EU-Rahmen losgelöste Gesetzgebung zur Wiedereinführung der VDS im derzeit rot-schwarz regierten Deutschland. Dieser „konstruktive Wachstumsprozess“ soll aber möglichst ohne Beteiligung der Öffentlichkeit ablaufen und damit das Prinzip einer transparenten Gesetzgebung unterlaufen.

Der derzeit amtierende Bundesinnenminister Thomas de Maiziere im Interview mit der Deutschlandfunk-Redakteurin Gundula Geuther am 8.2.2015:

Geuther: Eine andere Frage des Datenschutzes – wenn auch genau von der anderen Seite gesehen -, ist die Frage der Vorratsdatenspeicherung. Sie haben sich schon lange für eine Neuauflage ausgesprochen – seit den Anschlägen von Paris finden Sie damit auch wieder beim Koalitionspartner mehr Gehör. Nur ist das ja nicht so einfach, der Europäische Gerichtshof hat hohe Hürden aufgestellt. Wie wollen Sie um die herumkommen?

De Maizière: Sie haben es sehr schön formuliert, es gibt mehr Gehör, das ist so, und das möchte ich auch nutzen – aber vertraulich. Und wir sind hier nicht ganz unter uns in diesem Interview und deswegen möchte ich dazu nicht viel sagen. Klar ist, dass wir die Anforderungen der Rechtsprechung erfüllen müssen und können.

Geuther: Und „können“, ist schon die erste Frage. Konkret geht es ja um einen Satz, in dem Richter unter anderem die „anlasslose Speicherung“ als solche kritisieren. Nun ist die „anlasslose Speicherung“ das Wesen der Vorratsdatenspeicherung, warum glauben Sie trotzdem, dass das geht?

De Maizière: Weil ich mir denken kann, dass es Vorschläge gibt, die dem Rechnung tragen. Aber noch mal, wir sind in einer wirklich komplizierten, aber vielleicht hoffnungsvollen Lage, dass wir jetzt aus der puren Forderung und der puren Ablehnung in konstruktive Phasen übergehen – das ist ja jahrelang anders gewesen. Und das ist ein so zartes Pflänzchen, das wird von zu viel gießen und vor allen Dingen zu viel Licht und Sonne nicht wachsen.

Geuther: Ich glaube, weitere Nachfragen haben keinen Sinn.

De Maizière: So ist es.

Dieses Interview-Fragment und die darin enthaltene Information, dass man in Berlin konkret wird bei der Neugestaltung einer VDS-Gesetzgebung ist im Trubel der ebenfalls mit diesem Interview angestoßenen Debatte um Kirchenasyl allgemein leider eher unerwidert geblieben.

Wir haben darauf hin zwei Fragen an die Pressestelle des Bundesinnenministeriums gestellt:

1.)

In welcher Art ist für Sie eine Vorratsdatenspeicherung denkbar, die den von Frau Geuther angerissenen Ausschnitt aus dem EuGH-Urteil der allgemeinen Unzulässigkeit anlaßloser Vorratsdatenspeicherung zu berücksichtigen vermag?

2.)

Halten Sie die Vorgehensweise, dass neue Gesetze, die die Grundrechte der Bürger potentiell markant beschneiden, im Stillen und ohneTransparenz („ohne zu viel Licht und Sonne“) vorbereitet und entwickelt werden mit der Idee einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft vereinbar und wenn ja, wie können Sie das miteinander vereinbaren?

Daraufhin erhielten wir vom „Bürgerservice“ des Ministeriums folgende Antwort, gesendet mit einer noreply-E-Mail-Adresse (!):

Ein Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung ist vom Bundeskabinett nicht geplant. Ihnen ist bekannt, dass die Vorratsdatespeicherung im Bundeskabinett kontrovers diskutiert wird.

Die Federführung zu einem möglichen Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung liegt NICHT beim Bundesministerium des Innern sondern beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz.

Wie Sie dem beigefügten Link und dem Auszug aus der Pressekonferenz der Bundesregierung vom 09. Januar 2015 entnehme können, lehnt der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz eine Vorratsdatenspeicherung ab.

http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2015/01/2015-01-09-regpk.html

Diese Rückmeldung blendet das aus, was Herr de Maiziere im Interview behauptet hat. Die Beantwortung der zweiten Frage wird zudem völlig ignoriert.

Wir haben bei der BMI-Pressestelle und dessen „Bürgerservice“ nachgehakt:

Danke für die Rückmeldung.

Doch wieso bezieht dann Herr de Maiziere in einem öffentlichen Interview dann wie in meiner Anfrage und ergänzend wie folgt zitiert Stellung:

*** 8< Schnipp ***
(Auszug aus dem DLF-Interview, siehe oben)
*** >8 Schnapp ***

Wenn auch formell das BMJ für einen nationalen Vorratsdatenspeicherung-Vorstoß zuständig wäre, so ist doch bekannt, dass ein solcher dann in Abstimmung mit dem BMI erfolgen würde.

Wovon spricht also Herr de Maiziere mit seinen Andeutungen, dass es nun auch in der SPD-Regierungsfraktion (und auch bei Herrn Maas?) mehr Bereitschaft für so einen Vorstoß gäbe?

Könnten Sie zudem noch zu meiner zweiten Frage Stellung beziehen?

Falls das innerhalb Ihres Ressorts „Bürgerservice“ nicht möglich sein sollte – wofür ich großes Verständnis hätte – bitte ich um Weiterleitung an das Büro von Herrn de Maiziere oder an dessen Pressestelle.

Nachdem die Antwort auf die erste Mail erfreulich prompt erfolgt, nahm man sich nun im Innenministerium drei Tage Zeit und meldete dann zurück:

Zu Ihrem Schreiben erlaube ich mir abschließend folgende Ausführungen:

Sie berufen sich in Ihrem Schreiben auf ein Interview mit Herrn Bundesinnenminister Dr. de Maizière am 08. Februar 2015 mit dem Deutschlandfunk.

Die Äußerungen von Herrn Minister de Maiziere im DLF-Interview stehen für sich.

Ergänzend möchte ich Ihnen Folgendes mitteilen: Das Bundesverfassungsgericht hat am 2. März 2010 entschieden, dass eine sog. Vorratsdatenspeicherung unter bestimmten rechtlichen Voraussetzungen mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Hierzu zählten u.a. strengere Regelungen zur Datensicherheit. Der EuGH hat mit seinem Urteil vom 8. April 2014 bestätigt, dass die Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich mit EU-Grundrechten vereinbar ist. Gleichzeitig hat der EuGH z.T. gleichlautende, z.T. ähnliche zusätzliche Schutzmechanismen angemahnt wie das Bundesverfassungsgericht.

Überlegungen innerhalb der Bundesregierung zur Vorratsdatenspeicherung sind – wie Minister de Maizière ausführte – legitim und vertraulich.

Zusammengefasst:

1. Das BMI antwortet uns „abschließend“ – an Diskussion oder sachlicher Erörterung ist man also nicht interessiert.

2. Die Interviewäußerungen des Bundesinnenministers „stehen für sich“. Was soll uns das denn sagen? Dass es sich um private Meinungsäußerungen ohne politischen Belang handeln soll? Dass man sich keine Erklärung oder Erläuterung der Aussagen leisten kann oder will?

3. Der Gesetzgebungs- und -entwicklungsprozess für eine neue Vorratsdatenspeicherung in Deutschland ist also „vertraulich“. Ein Gesetzgebungsprozess ohne den lästigen Blick der kritischen Öffentlichkeit, Verhandlungen und Verabredungen hinter der Allgemeinheit gegenüber verschlossenen Türen.

Wir finden, dass „zarte Pflänzchen“ sehr wohl Licht und Wasser benötigen, um gedeihen zu können – um im Sprachbild von Herrn de Maiziere zu bleiben. Erst recht dann, wenn es sich um Gewächse demokratischer Gesetzgebungsprozesse handelt.

Ein Ausklüngeln neuer VDS-Gesetze abseits des parlamentarischen und öffentlichen Blickes darf es in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht geben … und auf ernst gemeinte und sachlich formulierte Nachfragen sollte man in den Ministerien doch auch ebenso sachlich und gehaltvoll antworten können.

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