Hannah Arendt in Wikipedia und im Gespräch mit Günter Gaus auf Youtube (1964).
Nachfolgend sechs nicht beliebig gewählte Ausschnitte aus dem Buch „Hannah Arendt. Oder: Die Liebe zur Welt“ von Alois Prinz. Etwaige Hervorhebungen durch uns.
„Hannah Arendt schreibt diese Zeilen [ab 1941] vor dem Hintergrund der Judenverfolgung durch die Nazis in Osteuropa und einer veränderten Politik der Briten in Palästina. (…) Sie warnt vor der jüdischen Neigung, den Antisemitismus als ein ’natürliches Problem‘ zu betrachten und in den gefährlichen Irrglauben zu verfallen, dass die Juden als auserwähltes Volk von einer feindlichen Welt umzingelt seien. Ebenso warnt sie vor der zionistischen Hoffnung, ein eigener Judenstaat sei der einzige Ort, wohin man vor dem Antisemitismus fliehen könne. Immer wieder erinnert sie in ihren Artikeln, dass Palästina nicht ‚auf dem Mond‘ liegt, sondern von einer arabischen Bevölkerung umgeben ist, mit der man eine Verständigung suchen muss. Ein eigener jüdischer Staat würde diese Verständigung unmöglich machen, weil in ihm die Nicht-Juden imer nur Minderheitsrechte hätten.“ (Seite 114f.)
„Vor allem Dänemark ist für Hannah Arendt ein Musterbeispiel dafür, ‚welch ungeheure Macht in gewaltloser Aktion und im Widerstand gegen ein an Gewaltmitteln vielfach überlegenen Gegner liegt‘. Die dänische Regierung weigerte sich beharrlich, den deutschen Befehlen nachzukommen, und auf die Aufforderung, den Judenstern einzuführen, erklärte der dänische König, er werde sich als Erster diesen Stern anheften. Solcher Widerstand ‚auf breiter Basis‘ hatte eine erstaunliche Wirkung: Die deutschen Befehlshaber wurden merkwürdig nachgiebig und ratlos, sie missachteten Anweisungen aus Berlin und wurden unzuverlässig. Ihre ‚Härte‘, so Hannah Arendt, ’schmolz wie Butter in der Sonne‘. Dieses Aufweichen weist auf eine Eigenschaft hin, die Hannah Arendt schon in ihrem Totalitarismus-Buch beschrieben hat: So mörderisch und vernichtend solche Systeme sind, so leicht brechen sie in sich zusammen, wenn ihnen ein entschlossener, solidarischer Widerstand entgegentritt. Der Grund dafür ist die merkwürdige Substanzlosigkeit.“ (Seite 248f.)
„Jaspers befürchtet [1964], dass das Buch [„Eichmann in Jerusalem: A Report on the Banality of Evil.“] auch in Deutschland für erheblichen Wirbel sorgen wird, weil Hannah darin den deutschen Widerstand gegen Hitler in einem sehr kritischen Licht sieht. Sie geht darin der Frage nach, ob Adolf Eichmann so etwas wie ein Gewissen gehabt hat, und erklärt in diesem Zusammenhang, dass die Gegner Hitlers nicht unbedingt immer aus Gewissensgründen gehandelt hätten. Nur einigen Einzelkämpfern und Gruppen wie der ‚Weißen Rose‘ billigt sie zu, wirklich aus prinzipieller Abscheu gegen Hitler die Nazis bekämpft zu haben. Die so genannten ‚Männer des 20. Juli‘ um den Grafen Stauffenberg dagegen hätten nicht aus Prinzip gegen Hitler gehandelt. Ihnen sei es nur darum gegangen, Deutschland politisch zu retten, im absehbaren Fall der Niederlage günstige Bedingungen für Verhandlungen mit den Siegermächten und einen Neuanfang zu schaffen. Das, was man gemeinhin unter Gewissen verstehe, so fasst Hannah zusammen, war ‚in Deutschland so gut wie verloren gegangen‘.“ (Seite 253f.)
„Auch der Gedanke an den Tod macht ihr keine Angst. ‚Ich habe immer gerne gelebt‘, bekennt sie Jaspers, ‚aber so gerne, dass es immer weiterdauern sollte, wieder auch nicht. Mir war der Tod immer ein angenehmer Genosse – ohne Melancholie. Krankheit wäre mir sehr unangenehm, lästig oder schlimmer. Was ich gerne hätte, wäre ein sicheres, anständiges Mittel zum eventuellen Selbstmord; ich hätt es gern in der Hand.‘ Bei Jaspers trifft Hannah mit solchen Überlegungen auf vollstes Verständnis. Seit der Nazizeit lebt er mit dem Gedanken an Selbstmord, und was die ‚anständigen Mittel‘ betrifft, ist er Experte. Er schildert Hannah [1966] ausführlich, welche Pharmaka wie Zyankali, Morphium oder Veronal in Frage kommen, wie man sie zu sich nimmt und welche Vor- und Nachteile sie haben. Was ihn jedoch ‚verdrießlich‘ macht, ist, dass man so schwer an diese Mittel herankommt. ‚Die ‚freie Welt‘ ist nicht frei‘, empört er sich, ‚denn sie verbietet den Selbstmord.‘“ (Seite 268)
„[Hannah Arendt] schreibt [1971] einen Essay über ‚Die Lüge in der Politik‘. Anlass dafür sind die sogenannten ‚Pentagon-Papers‘, die im Juni auszugsweise von der New York Times veröffentlicht worden sind. Es handelt sich dabei um geheime Dokumente aus dem Verteidigungsministerium, in denen die amerikanische Politik in Vietnam beschrieben wird. Für Hannah Arendt zeugen diese Dokumente von einer erschütternden Realitätsferne der politischen Führung in Washington, insbesondere jener Berater des Präsidenten, die sie ‚Problem-Löser‘ nennt. Diese Problem-Löser würden viel Intelligenz darauf verwenden, Szenarien zu entwerfen und Theorien aufzustellen, um die Ereignisse berechenbar zu machen. Dabei ignorierten sie jedoch die tatsächlichen Gegebenheiten. Wovon sie allein geleitet werden, so Hannah Arendt in einem Interview, ist ein ‚Image‘, das sie mit allen Mitteln aufrechterhalten wollen. Seit den Pentagon-Papieren wisse man, ‚dass Amerika diesen ganzen Krieg um sein Image geführt hat – entweder wollte jemand die nächsten Präsidentschaftswahlen gewinnen (wer will schon der erste Präsident sein, der einen Krieg verliert?) oder aber es ging um das Image Amerikas in der Welt, um den Beweis, dass es wirklich die größte Macht der Welt ist. Doch damit nicht genug. Man wollte unbedingt, dass die Welt auch daran glaubt, dass Amerika das stärkste Land der Welt ist.‘ Das Schlimme an dieser Propaganda ist für Hannah Arendt, dass die ‚image-maker‘ selbst auf ihre Vorstellungen hereinfallen. Ein kaltblütiger Lügner, so führt sie aus, weiß noch, dass er die Unwahrheit sagt, aber bei einem Lügner, der sich selbst betrügt, hat die Realität keine Chance mehr. Darum kommt für sie alles darauf an, dass man sich nicht selbst belügt. Und sie zitiert in diesem Zusammenhang aus einem Roman von Dostojewski, wo es heißt: ‚Wer sich selbst belügt und auf seine eigene Lüge hört, kommt schließlich dahin, dass er keine einzige Wahrheit mehr weder in sich noch um sich unterscheidet.‘“ (Seite 288f.)
„[1973] will Hannah Arendt der Frage nachgehen, welche Ursache dieses Böse hat, das so banal in Erscheinung tritt. Sie glaubt nicht, dass jemand böse ist, weil er ein ‚böses Herz‘ hat oder weil böse Absichten ihn leiten. Sie glaubt auch nicht, dass Bosheit etwas mit Dummheit oder Intelligenz zu tun hat oder sich lediglich als Verstoss gegen moralische Gebote verstehen lässt. In solchen Erklärungen wird das Böse als eine Macht gesehen, die die Gedanken eines Menschen sozusagen auf die schiefe Bahn bringt oder beeinträchtigt. Hannah Arendt dagegen meint, dass die Wurzeln des Bösen im Denken selbst liegen. Darum fragt sie: ‚Könnte vielleicht das Denken als solches – die Gewohnheit alles zu untersuchen, was sich begibt oder die Aufmerksamkeit erregt, ohne Rücksicht auf die Ereignisse oder den speziellen Inhalt – zu den Bedingungen gehören, die die Menschen davon abhalten oder geradezu dagegen prädisponieren, Böses zu tun?‘ Hannah Arendt beantwortet diese Frage mit Ja. Zu den Bedingungen des Denkens gehört für sie die von Sokrates gemachte Entdeckung, dass Denken nichts anderes ist als ein ’stummes Zwiegespräch‘. Wer denkt, der zieht sich zwar von der Welt und den Menschen zurück, er ist allein, aber er ist nicht einsam. Denn er begibt sich in Gesellschaft mit sich selbst und macht dabei die Erfahrung, dass er sich im Denken aufspaltet und sozusagen ‚Zwei-in-einem‘ ist. (…) Diese Notwendigkeit, in Übereinstimmung mit sich selbst zu sein, ist für Hannah Arendt die Quelle für das, was man üblicherweise Gewissen nennt. Dieses Gewissen, verstanden als inneres Gespräch, hält mich davon ab, Unrecht zu tun. Denn wer, so fragt Hannah Arendt, möchte schon mit einem Mörder oder Lügner zusammenleben müssen? (…) In ihrem später veröffentlichten Buch ‚Das Leben des Geistes‘ heißt es hierzu: ‚Wer jenen stummen Verkehr nicht kennt (in welchem man prüft, was man sagt und was man tut), der wird nichts dabei finden, sich selbst zu widersprechen, und das heißt, er ist weder fähig noch gewillt, für seine Rede oder Handeln Rechenschaft abzulegen; es macht ihm auch nichts aus, jedes beliebige Verbrechen zu begehen, weil er darauf zählen kann, dass er es im nächsten Augenblick vergessen hat (…). Ein Leben ohne Denken ist durchaus möglich; es entwickelt dann sein eigenes Wesen nicht – es ist nicht nur sinnlos, es ist gar nicht recht lebendig. Menschen, die nicht denken, sind wie Schlafwandler.‘“ (Seiten 295ff.)






