Seit rund 15 Jahren begleiten wir (bzw. im Rahmen der freiheitsfoo-Vorstrukturen) den hannoverschen ÖPNV-Betreiber, die üstra AG auf ihren Hauptversammlungen und stellen Fragen zu Videoüberwachung, zur Zusammenarbeit der üstra mit der Polizei, zur von der üstra zu verantwortenden Strafverfolgung von Schwarzfahrern und vielen anderen Themen.
So auch dieses Jahr, zur Hauptversammlung vom 28.8.2025. Alle Fragen und Antworten wurden von uns – wie üblich – öffentlich in unserem Wiki dokumentiert.
Aus den Antworten des Vorstands und mit Blick auf die Entwicklung der letzten zehn Jahre möchten wir dazu folgende, uns wichtig erscheinende Informationen zusammenfassen und auflisten:
Videoüberwachung
Die Anzahl der von der üstra betriebenen Überwachungskameras ist von 531 (2014) auf 1995 (2024) auf das rund vierfache gestiegen.
Die Anzahl der jährlichen polizeilichen Zugriffe auf deren Daten stieg im gleichen Zeitraum von 498 auf 678.
Die Kosten für Betrieb und Unterhalt der Kameras stiegen zugleich von 5.000 auf 19.000 Euro.
In keinem der vergangenen Jahre/Jahrzehnte konnte die üstra mitteilen, ob oder in wie viel Fällen die Videoüberwachung zu einer tatsächlichen Strafverfolgung geführt hat. Es gibt also keinerlei Beleg oder Anhaltspunkt zur Frage, ob die üstra-Kameras überhaupt zur Strafverfolgung taugen, wenn sie schon keine solche Straftaten verhindern können oder den Opfern von Übergriffen keinerlei Hilfe leisten.
Zusammenarbeit mit der Polizei
Die üstra stellt der Polizeidirektion Hannover dauerhaft ihre Datenleitungen zur Verfügung, damit die Polizei ihre eigenen Überwachungskameras damit steuern und deren Bilddaten überhaupt abrufen kann.
Dafür erhielt die üstra in 2024 12.000 Euro von der Polizei.
Verantwortlosigkeit bei der Verfolgung von Schwarzfahrern
Es ist dem Vorstand der üstra völlig egal, inwiefern die Anordnung, dass gegen mehrfach beim Schwarzfahren ertappte Menschen nicht nur eine Geldstrafe (im Neusprech: „erhöhtes Beförderungsentgeld“) sondern sogar ein Strafverfahren eingeleitet wird, inwiefern also diese Praxis für Verarmung und Verelendung einzelner Menschen führt.
Dass das so ist, dass also Menschen aufgrund dieser umstrittenen Strafverfolgung mitunter Job und Wohnung verlieren und so in eine Armuts- und Elendsspirale gezwungen werden, dafür gibt es ausreichend Belege und Dokumentationen. Beispielhaft verwiesen sei auf die Anstrengungen des „Freiheitsfonds“ zur Befreiung von auf diesem Wege in das Gefängnis geratene Menschen. Oder auch der Offener Brief von zahlreichen renommierten Kriminologen und Wissenschaftlern an die vorherige Bundesregierung mit der Forderung, den Straftatbestand des Schwarzfahrens nach §265a StGB – übrigens am 1.9.1935, vor also fast genau 90 Jahren von den Nazis so eingeführt – endlich abzuschaffen.
Auf der Hauptversammlung 2024 hatte der üstra-Vorstand seine Haltung noch zu verteidigen versucht, dass die gelebte Praxis zur Einleitung von Strafverfahren eine abschreckende Wirkung auf Schwarzfahrer habe. Das sei also der Grund für das Beibehalten dieser Verfolgung. Auf Nachfrage in diesem Jahr, welche Belege der Vorstand für diese Behauptung habe konnten die üstra-Managerinnen allerdings keine solche vorweisen.
Viele Verkehrsverbünde verzichten bereits freiwillig auf die Einleitung von Strafverfahren wegen Schwarzfahrens – auf der Karte dieser menschlicher agierenden Unternehmen fehlt Hannover nach wie vor.
Der üstra-Vorstand gestand auf der diesjährigen Hauptversammlung ganz offen, dass es ihn „nicht interessiere“, wie viele Menschen, die die üstra wegen Schwarzfahrens vor Gericht bringt aufgrund pesönlicher Armutsverhältnissen infolgedessen im Gefängnis landen würden. Oder in wie vielen Fällen diese Menschen einen Asyl- oder Flüchtlingshintergrund haben. Mindestens denkbar ist, dass die üstra dadurch mittelbar für sogar deren Abschiebung verantwortlich ist, denn nach dem Schwarzfahren gelten diese Menschen alle als vorbestraft oder werden als „straffällig geworden“ klassifiziert.
Die Rechten, Nazis und neuen Faschisten in Deutschland dürften der üstra dankbar sein …
Dazu gehört auch die Ankündigung und bereits gelebte Praxis, dass die üstra ihre Anstrengungen zur Fahrscheinkontrolle derzeit intensiviert. Wurden in 2023 noch „nur“ 21.000 Arbeitsstunden für die Fahrscheinkontrolle geleistet waren es in 2024 schon 26.700. Und soll weiter erhöht werden.
Während die Schwarzfahrerquote nach wie vor (und trotz der Kontroll- und Anzeigepraxis) stabil bei etwa gleichen Werten bleibt konnte die üstra die Einnahmen aus den Schwarzfahrer-Bußgelder innerhalb eines Jahres aufgrund intensivierter Kontrollanstrengungen sogar verdoppeln!
üstra und Microsoft
Im Frühjahr 2023 wurde die üstra Opfer eines großen Angriffes auf ihre IT-Infrastruktur. Die Folgen waren schwerwiegend, nicht zuletzt für die Nutzer des ÖPNV in Hannover. Auch personenbezogene Daten wurden gestohlen und tauchten später im Darknet wieder auf. Der Vertrauensverlust ist groß, der üstra hat das alles – nach eigenen Angaben – allein rein monetär ca. 1,7 Millionen Euro gekostet.
Doch damit nicht genug. Die üstra baut auf Microsoft und gibt dem Konzern eine Menge Geld. Allein in 2024 hat Microsoft 1,07 Millionen Euro an Lizenzgebühren von der üstra erhalten. Dafür, dass Microsoft den üstra-Leuten (möglicherweise auch aufgrund der Microsoft-/Windows-eigenen Schwachstellen!) beim IT-Angriff mit einem „Incident Response Team“ geholfen hat erhielt der US-Konzern 140.000 Euro ausgezahlt.
Doch daraus scheint man bei der üstra nicht viel Grundsätzliches gelernt zu haben: Von OpenSource will man nichts wissen. „Weil es doch professionelle Beratung und Systeme benötige“, so die schwachbrüstige Argumentation des Vorstands. Von damit verbundenen langfristigen Sicherheitsgewinnen und Kostenersparnissen keine Rede.
Abgang der Innovationsfreude und des vorausschauenden Denkens
Ganz anders bei der Nachfrage, warum in Hannover keine, aber auch gar kein Anstrengungn unternommen werden, Wasserstoff-Energie-Technologien voranzutreiben und im ÖPNV zu etablieren:
Insgesamt würde ein Einsatz von Wasserstoff „den üstra-Benchmark verschlechtern, weil er nicht wirtschaftlich einsetzbar ist.“
Die Tragfähigkeit dieses Arguments unterminierte der Vorstand dann allerdings selber, als er – auf Nachfrage – eine lange Liste anderer Verkehrsverbünde in Deutschland aufführte, die – anders in Hannover – zum Teil sehr umfangreich H2-Technologie einsetzen oder einzuführen planen. Unterliegen die etwa keinen „Benchmark“-Anforderungen?
Zum Abschluss
Ende 2017 gab es einen Bruch in der Führungsriege der üstra AG. Der bisherige Vorstand wurde Hals über Kopf abgesetzt, ein neuer nach und nach etabliert. In den Medien kursierten als Grund für das Vorgehen eine Menge an Vorwürfen.
Nachdem ein Einigungsverfahren im daraus resultierenden Streitfall mit dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden gescheitert ist sucht das Landgericht Hannover derzeit einen Verhandlungstermin. Der Streitwert betrage nach Angaben der Üstra 1,85 Millionen Euro.
Der dann neu installierte und inzwischen erweiterte Vorstand scheint eine konstruktive Mitarbeiter*innenpolitik zu betreiben. So zumindest der Eindruck nach außen hin. Die Stimmung im Unternehmen scheint gut zu sein. Auch das vom neuen Vorstand ins Leben gerufene Sprinti-Projekt zur Anbindung der ländlichen Bevölkerung an den ÖPNV ist wirklich gut und bundesweit einmalig.
Dennoch scheint die üstra nach der Absetzung des alten Vorstands an Innovationskraft verloren zu haben. Vorbei die Zeiten, in denen die Üstra bundesweit Aufsehen mit den ersten bremsenergie-rückgewinnenden Stadtbahnen erregte. Oder die stadtweite Ampel-Vorrangschaltungen für Busse und Bahnen, mit der andere Städte erst in den letzten Jahren nachgezogen haben. Obwohl nüchtern betrachtet mehr als absehbar ist, dass ressourcenfressende Batterie-Antriebstechnik global keinerlei Zukunft haben kann traut man sich in Hannover nicht an die Wasserstofftechnik ran sondern will erst auf den Zug aufspringen, wenn der Mainstream ihn entdeckt haben wird. Schade.