Erst nach Einlegen eines Widerspruchs: Bundesamt für Güterverkehr offenbart die Fehlerquoten der Kennzeichenscanner in Autobahn- und Bundesstraßen-Überwachungsbrücken und -säulen von Toll Collect – Zigtausend falsch identifizierte Kraftfahrzeuge jeden Tag!

Aus einer Präsentation des BAG über Toll Collect-Erfassungsanlagen vom Juni 2018

Das Bekanntwerden der Fehlerquoten von Toll-Collect-Verkehrsüberwachungsanlagen „beeinträchtigt das Kontrollkonzept“ und „könne für die vollständige Einnahme der Maut gefährlich sein.“

Das schrieb das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) im Juni 2019 als ablehnende Antwort auf eine IFG-Anfrage, die erfragt hat, wie hoch denn die Fehlerquoten der Kennzeichenscanner von Toll Collect im Detail sind. Zuvor hatten sich sowohl die Toll Collect GmbH selber wie auch das Bundesverkehrsministerium stumm bzw. dumm gestellt.

Der IFG-Antragsteller ließ nicht locker und legte Widerspruch ein, dem dann auch (wenn auch zeitlich verspätet) stattgegeben worden ist:

„Nach erneuter Prüfung der Sach- und Rechtslage komme ich zu dem Schluß, dass Ihnen die gewünschte Auskunft (…) zu erteilen ist.“

Und:

„Die Kosten des Widerspruchsbescheids trägt die Bundesrepublik Deutschland.“

Der Beauskunftung angehängt ist dann ein schmallippiger „Bericht zur Kennzeichenerkennungsquote“ für den Zeitraum von September 2018 bis März 2019. Zur Erinnerung: Die Toll Collect GmbH wurde im September 2018 vom Bund von den ehemaligen privatwirtschaftlichen Eignern (darunter u.a. die Daimler AG) zurückgekauft. Dieser Vorgang hätte einen eigenen Blogbeitrag verdient, aber darum soll es hier nun nicht gehen.

Der kurze „Bericht“ offenbart, dass – grob zusammengefasst – zwischen 93% und 96% der von den Toll-Collect-Überwachungsanlagen durchgeführten Kennzeichen-Scans korrekt erfasst werden, unterscheidet aber nicht weiter zwischen false-positive- und false-negative-Fehlerquoten und geht auch nicht weiter auf die Ermittlung dieser Werte ein.

Auszug aus dem mittels IFG-Anfrage befreiten Dokument/Bericht

Eine möglicherweise interessante Randnotiz: Der Bericht datiert vom 31.5.2019. Die IFG-Anfrage wurde am 23.3.2019 an das BAG gestellt …

Unabhängig von der informationellen Lückenhaftigkeit der Beauskunftung lässt sich aber dennoch festhalten:

Zwischen vier und sieben Prozent der KFZ-Kennzeichen werden falsch ausgelesen. Da die Toll Collect inzwischen auf allen (!) Autobahnen und Bundesstraßen Überwachungsbrücken und -säulen installiert hat (ca. 920 stationäre Anlagen bundesweit) führt das zu einer sehr großen Zahl falsch identifizierter Fahrzeuge. Wenn man davon ausgeht (aber das ist nur eine sehr vage und vorsichtige Schätzung!), dass jeder Toll-Collect-Kennzeichenscanner im Schnitt von 2.000 Fahrzeugen pro Tag passiert wird, dann werden täglich rund 2 Millionen Fahrzeuge erfasst. Und das würde bedeuten: 80.000 bis 140.000 falsch identifzierte KFZ-Kennzeichen pro Tag!

Ältere Übersicht über Standorte von Toll Collect-Erfassungsbrücken auf Autobahnen

Disclaimer: Diese Schätzung beruht auf der Annahme, dass die amtlichen Kennzeichen aller passierenden Fahrzeuge fotografiert und automatisiert per Bilderkennungs-Software in die (mehr oder weniger korrekte) Buchstabenfolge des Kennzeichens umgewandelt werden. Für den Fall, dass diese Form der Datenverarbeitung nur dann erfolgt, wenn der seitliche Scan des Fahrzeugprofils ein LKW-mautpflichtiges Fahrzeug indiziert, dürften die Zahlen um einen erheblichen Faktor niedriger liegen, was an der grundsätzlichen Problematik allerdings nichts ändert. Uns ist das Verfahren der Toll Collect in diesem Detail nicht bekannt.

Es bleiben also diese und viele weitere Fragen unbeantwortet bzw. offen – die BAG-Pressestelle mochte sich zu einigen dieser Fragen trotz unserer Bitte noch nicht äußern und ließ unsere Presseanfrage bislang unbeantwortet:

  • Wie werden die Fehlerquoten ermittelt: Wie hoch sind die Stichprobenzahlen, an wie vielen und welchen Standorten werden diese ermittelt, nach welchem Verfahren?
  • Wie hoch sind die Nichterkennungs- und Falscherkennungsquoten, aus denen sich die „Kennzeichenerkennungsquote“ zusammensetzt und warum wird das nicht aufgeschlüsselt?
  • Wie unterscheiden sich die Fehlerquoten der Kennzeichenscanner auf Autobahnen rund 600 Mitarbeiter beschäftigtund Bundesstraßen voneinander?
  • Warum werden keine älteren Quotenermittlungen beauskunftet? Hat sich die Toll Collect GmbH zu ihren privatwirtschaftlich geführten Zeiten nicht dafür interessiert oder die Unterlagen dazu nicht an den Bund mitveräußert?
  • Was passiert überhaupt mit den falsch identifzierten Kennzeichen bzw. deren Fahrern/Haltern? Wer „bereinigt“ die Fehler, die die allgegenwärtigen Kennzeichen-Scan-Automaten von Toll Collect erzeugen? Oder zugespitzt und nicht ganz ernst gemeint gefragt: Ist das der Grund dafür, dass die Toll Collect GmbH insgesamt rund 600 Mitarbeiter beschäftigten muss?
  • Seitenscan einer Toll Collect Autobahn-Erfassungsbrücke (aus 2013)

    Und schließlich: Wie hoch sind eigentlich die Fehlerquoten der Überwachungsanlagen bzgl. der Ermittlung der Fahrzeugart, also bspw. bei der Ermittlung der Achsenanzahl?

Die letzte Frage ist dahingehend relevant, weil Fehler der Anlagen in der Beurteilung, ob es sich um ein mautpflichtiges Fahrzeug handelt oder nicht dazu führen kann, dass auch von der LKW-Maut nicht betroffene PKW’s erfasst, identifiziert und möglicherweise zumindest temporär gespeichert bzw. deren Kennzeichendaten übermittelt und verarbeitet werden …

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