Seit vielen Jahren wird gegen die ausgeuferte polizeiliche Videoüberwachung öffentlicher Räume in Hannover prozessiert. Ging es anfangs (ab 2010) zunächst um das Fehlen jeglicher Kennzeichnung dieser Überwachung, so beschäftigt sich die zweite Klage (ab 2011) mit der Frage, ob die Kameras überhaupt eine Rechtsgrundlage und ausreichende Daseinsberechtigung haben.
Beide Verfahren zogen bzw. ziehen sich über viele Jahre hin (das laufende Verfahren seit bald acht (!) Jahren), wurden z.B. angesichts über lange Jahre drohender, aber nicht oder nur verspätet umgesetzter Polizeigesetz-Reform-Vorhaben zum wiederholten Male vertagt. Immerhin waren beide Verfahren bislang von Erfolg gekrönt. Die Polizeidirektion Hannover wurde dazu verpflichtet, ihre Kameras zu kennzeichnen. (Das tat sie dann auch, wenn auch eher schlecht als recht. Aber um dieses Detail soll es hier nicht gehen …) Und auch das noch laufende Verfahren hatte in der ersten Instanz bereits den Effekt, dass die Polizei Hannover nur noch 23 von ehemals 78 Kameras dauerhaft betreibt, weitere sieben werden nur noch „temporär“ genutzt. Die restlichen Kameras wurden entweder abgebaut (16 Stück) oder „an die Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr abgegeben“ (32 Stück).
Nachdem nun das Neue Polizeigesetz für Niedersachsen („NPOG“) zum 24.5.2019 in Kraft getreten ist und umfangreiche Änderungen im § 32 zur Zulässigkeit polizeilicher Videoüberwachung mit sich gebracht hat kommt wieder Schwung in das laufende Verfahren, derweil inzwischen in der zweiten Instanz beim Oberverwaltungsgericht (OVG) in Lüneburg angelangt. (Dass sich dieses Gericht bislang als nicht besonders grundrechtsfreundlich in Sachen Videoüberwachung gegeben hat, sei hier nur kurz nebenbei angemerkt.)
Zurück zum laufenden Verfahren: In einem aktuellen Schreiben des OVG Lüneburg an die Polizeidirektion Hannover vom 27.6.2019 heißt es unter anderem:
„Bitte führen Sie auch ergänzend aus, ob sich hinsichtlich der von Ihnen zuletzt mit Schriftsatz vom 30. April 2018 dargestellten tatsächlichen Entwicklung der streitgegenständlichen Kamerastandorte zwischenzeitlich weitere Veränderungen ergeben haben bzw. wie diesbezüglich der aktuelle Sachstand ist. Im Schriftsatz vom 30. April 2018 hatten Sie zudem ausgeführt, dass hinsichtlich der notwendigen Kennzeichnung der Kameras „derzeit“ eine sinnvolle und dauerhafte Lösung gesucht werde – wie ist diesbezüglich der aktuelle Sachstand?„
Das macht es spannend, denn als Ergebnis von vorherigen Presseanfragen an die Polizeidirektion Hannover kam unter anderem folgendes heraus:
- Die Polizei Hannover hat es auch nach über drei Jahren noch nicht geschafft, die Kennzeichnung ihrer Überwachungskameras an ie Anforderungen der JI-Richtlinie („JI-Richtlinie für den Datenschutz in den Bereichen Polizei und Justiz 2016/680“ vom 27.4.2016, dort der Artikel 13) anzupassen. Andere Stellen wären für solch ein Versäumnis längst mit Bußgeldern belegt worden. [Zur Erläuterung: Was die EU-Datenschutzgrundveordnung (EU-DSGV) für Unternehmen und Private ist, ist die JI-Richtlinie für Polizei und Justiz in der EU. Für diese findet die DSGV nämlich explizit keine Anwendung.]
- Auch hat es die Polizei noch nicht hinbekommen, ihre Hinweisschilder an den Stellen/Plätzen zu entfernen, wo sich gar keine Polizeikamera mehr befindet oder diese Kamera nicht mehr der Polizei gehört. Damit erzeugt die Polizei an vielen Stellen fälschlicherweise das Gefühl, polizeilich videoüberwacht zu werden. Etwas, was sowohl zu mangelnder Zivilcourage wie auch zu einer unnötigen (und aus unserer Sicht unzulässigen) Einschränkung der Handlungsfreiheit der Menschen führen kann.
- Schließlich hat die Polizei Hannover auch noch immer keine Lösung für eine gesetzeskonforme Kennzeichnung „nur temporär betriebener“ Kameras gefunden. Sie kann noch nicht einmal sagen, welcher Text auf diesen Hinweisschildern stehen soll.
- In diesem letzten Zusammenhang stört es die Polizei ausdrücklich auch nicht, dass Menschen, die die fest installierte Polizeikamera erblicken selbst dann den Eindruck gewinnen, diese könne in Betrieb sein, wenn das gar nicht der Fall ist.
Wir haben den (nicht belegbaren!) Eindruck, dass die Polizei erst aufgrund unserer Presseanfrage (und der darauf folgenden Nachfrage durch das OVG) begonnen hat, sich um all diese Dinge Gedanken zu machen. Die Einhaltung der Kennzeichnungspflicht, zu der die Polizei vor Gericht in 2012 eine fette Schlappe erlitten hat, hat offenbar nicht zu einer nachhaltigen Sensibilisierung geführt …
Jetzt gilt es, das alles vor Gericht zu beleuchten und dort – möglichst – auch die neu entstandenen Fragen zur Zulässigkeit der Neuerungen im NPOG zu behandeln.