Ein Gastbeitrag aus den „Reihen“ des freiheitsfoo’s.
In Niedersachsen gibt es einen Entwurf für ein neues Polizeigesetz. Er liest sich als hätten Sicherheitsfanatiker*innen ihre Fantasien ausgelebt um Staat und Menschen vor Terrorist*innen zu schützen, die Frage ist nur:
Wer terrorisiert hier?
In vielen Teilen legalisiert das Polizeigesetz die bisherige polizeiliche Praxis, so zum Beispiel mit einem Abschnitt zu Gefährderansprachen, welche bedeuten, dass die Polizei Personen zu Hause aufsucht und mit ihnen redet (ergo einschüchtert) – und das sobald es tatsächliche Hinweise darauf gibt, dass eine Person in einem überschaubaren Zeitraum eine zumindest der Art und Weise nach konkrete Straftat begehen könnte. Die unkonkreten Angaben klingen hier nach weiteren Gefährderansprachen vor Großereignissen. Die bisherigen Erfahrungen mit solchen Ansprachen hatten mit Terrorismus meist nichts zu tun.
Die Gefährderansprache mutet jedoch fast harmlos an im Vergleich dazu was danach kommt: Meldeauflagen (§16a), Aufenthaltsverbote (§17), Kontaktverbote (§17b), elektronische Aufenthaltsüberwachung (=Fußfessel, §17c) und Unterbindungsgewahrsam bis zu 74 Tagen. Aufenthaltsverbote, Kontaktverbote und Fußfesseln dürfen angeordnet werden, wenn „bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Person innerhalb eines übersehbaren Zeitraums auf eine zumindest ihrer Art nach konkretisierte Weise eine terroristische Straftat begehen wird, oder das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie innerhalb eines übersehbaren Zeitraums eine terroristische Straftat begehen wird“. Angaben dazu, welche Tatsachen das sein könnten fehlen, ob beispielsweise ein Besuch einer bestimmten Moschee oder einer linken Demo ausreicht oder die Benutzung von Mailverschlüsselung – der polizeilichen Willkür wird mit diesem Gesetz Tür und Tor noch weiter geöffnet. Meldeauflagen dürfen auch bei der Gefahr, Straftaten von erheblicher Bedeutung zu begehen verhängt werden.
Zur Durchsetzung von Kontaktverboten dürfen Dinge sicher gestellt werden (Handys?). Fußfesseln dürfen auch dazu eingesetzt werden, die Einhaltung von Aufenthalts- und Kontaktverboten sicher zu stellen und wenn Menschen nicht mitmachen, ist es möglich sie einfach einzusperren (Gewahrsam). Bei dem Verdacht, dass sie eine einfache Straftat begehen, 4 Tage, bei einer Straftat von besonderer Bedeutung 10 Tage und beim Verdacht, das sie etwas terroristisches planen 30 Tage mit der Option, das um weitere 30 und dann um weitere 14 Tage zu verlängern. Im Gegensatz zur Verhängung von Meldeauflagen, Aufenthaltsverboten, Kontaktverboten und Fußfesseln muss hier eine richterliche Entscheidung gefällt werden – über die anderen Maßnahmen entscheidet die polizeiliche Behördenleitung (die bekanntermaßen kein großes Interesse an den Rechten von Störer_innen oder Verdächtigen hat – Beschuldigte sind es in diesem Fall noch nicht einmal).
Damit die Maßnahmen wirken, werden sie gleich mit drastischen Strafen bedroht. Die Totalüberwachung mit Fußfessel zu verhindern, gegen Meldeauflagen oder Kontaktverbote zu verstoßen wird mit bis zu zwei Jahren Haft bedroht, der Verstoß gegen Aufenthaltsverbote ist eine Ordnungswidrigkeit. Hier wird der Polizei also die Möglichkeit gegeben, Totalüberwachung und Kontaktverbote anzuordnen und bei einem Verstoß droht Knast – all das ohne jemals eine Straftat begangen zu haben.
Doch um noch mehr zu verstehen, wann all diese Maßnahmen anwendbar sind, müssen wir auch einmal einen Blick in den Anfang des Gesetzes werfen – in die Begriffsbestimmungen. Es wird differenziert zwischen Straftaten von erheblicher Bedeutung und terroristischen Straftaten (die es vorher so im Gesetz nicht gab). Das klingt erst mal trocken, nach dem oben dargestellten, sollten die Auswirkungen jedoch klar sein.
Erhebliche Straftaten sind alle Verbrechen, also Straftaten, die mit einer Mindeststrafe von mindestens einem Jahr bedroht sind, klassischerweise so etwas wie Mord und Totschlag und zusätzlich viele Verstöße gegen Gesetze, die zum Schutz des Staates da sind. Dabei wurde auch dieser Katalog im neuen Gesetz erheblich erweitert, hinzugekommen sind jetzt das Offenbaren und Auskundschaften von Staatsgeheimnissen und Computersabotage und vor allem verschiedenste Vorbereitungshandlungen, z.B. zu Explosions- und Strahlungsverbrechen aber auch zu gefährlichen Eingriffen in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr oder die Anleitung zu einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Schon hier öffnet sich ein großer Spielraum – ab wann kann eine bestimmte Handlung als Vorbereitung interpretiert werden?
Terroristische Straftaten sind nach dem Gesetz unter anderem die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, Terrorismusfinanzierung, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, schwere Körperverletzung, Zerstörung von Bauwerken, Brandstiftung, Herbeiführung einer Überschwemmung, gefährlicher Eingriff in den Bahn-, Schiffs- oder Luftverkehr, Störung öffentlicher Betriebe oder die Störung der Telekommunikation, all das „wenn diese Straftat dazu bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates, eines Landes oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat, ein Land oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann“.
Das klingt jetzt alles so, als müssten Menschen sehr viel anstellen, aber ein paar einfache Beispiele sollten hier die Gefahren deutlich machen. Beispielsweise sitzen in Deutschland mehrere Menschen im Knast, weil ihnen Mitgliedschaft oder die Unterstützung der PKK vorgeworfen werden, die als terroristische Vereinigung gilt. Weil eine solche Opposition gegen die türkische Politik – die natürlich die politischen Grundstrukturen dort ändern will – das Ansehen der Türkei oder Deutschlands bei der Türkei erheblich schädigen kann, gilt das mit dieser Definition als terroristische Straftat. Oder wie ist es bei G20-Gegner*innen, die Autoreifen in Brand stecken? In Hamburg die Staatsanwaltschaft fabuliert von „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“ – so lässt sich leicht Gewalt definieren, die das Ansehen des Staates schädigt. Sollen also alle, die gegen die Politik der G20 protestieren wollen, Fußfesseln angelegt bekommen oder für 74 Tage hinter Gittern verschwinden?
Spannend ist hier vor allem die Verlagerung der Strafe weg von gerichtlich festgestellten Taten, sondern hin zu einem Präventionssystem, bei dem in vielen Fällen eine polizeiliche Gefahrenprognose ausreicht, um Menschen deutlich in ihrer Bewegungs- und Handlungsfreiheit einzuschränken. Dieses Gesetz richtet sich nicht gegen Terrorist*innen, sondern gegen jegliche Opposition und soll eine immer totalere Überwachung und Anpassung schaffen – die Vorstellung davon, sich nicht mehr mit Freund*innen treffen zu dürfen oder sich permanent überwachen zu lassen, dürfte viele abschrecken, sich überhaupt politisch zu engagieren. Das ist nicht so weit weg von der Orwellschen Gedankenpolizei. Ich möchte in einer solchen Welt nicht leben.