Im Bundesrat ringen die Bundesländer bzw. ihre Parteipolitik-Vertreter um die Frage, ob Gewalt an Polizisten und Polizistinnen in Form eines Sonderstrafrechts anders, d.h. schärfer zu bestrafen ist als Gewalt an anderen Menschen.
Auch im Landtag Schleswig-Holstein treibt diese Diskussion ihre Blüten – auf Antrag der dort in der Opposition befindlichen CDU gab es einen Änderungsantrag der regierenden SPD, Bündnis 90/Grünen und des SSW.
Wir als freiheitsfoo wurden neben anderen um Stellungnahme dazu gebeten, die wir heute abgegeben haben und hiermit veröffentlichen:
Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für die Einladung zur Stellungnahme in obiger Sache.
Hier ist sie:
Wir lehnen sowohl den Antrag der CDU (DS 18/4535) als auch den Änderungsantrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und SSW (DS 18/4662) kategorisch ab.
Vor der dazugehörigen Begründung möchten wir auf unsere Haltung hinweisen, dass wir Gewalt gegenüber Menschen ebenso kategorisch ablehnen, wie die beiden zu beurteilenden Anträge. Diese Ablehnung differenzieren wir nicht weiter. Weder sind Menschen, die unsere Auffassungen teilen, noch politische Gegner oder Andersdenkende mehr oder weniger davon auszunehmen oder zu bevorteilen.
Die Begründung unserer Stellungnahme in möglichst wenigen Worten:
Sonderstrafrechte sind per se undemokratisch. Sie verzerren das Strafrechtsgefüge und das Prinzip der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz. Sie besitzen das Potential, Ressentiments und Unzufriedenheit bei vielen Menschen zu erzeugen, die nicht der privilegierten Gruppe zugehörig sind.
Alle vier Parteien des Antrags und des Änderungsantrags verlangen eine „deutliche und unmissverständliche Zeichensetzung“. Eine solche Absicht zur Grundlage politischen und gesetzgeberischen Handelns erhoben lässt Politik unsachlich werden und zur Symbolpolitik verkommen. Im übertragenen Sinne erinnert solches parlamentarischs Wirken an die Prügelstrafe gegenüber Kindern durch Eltern und Lehrer.
Erfahrungen und kriminologische Studien belegen, dass die Erhöhung des Strafmaßes nichts an Umfang oder Inhalt des hier diskutierten Problems ändern würde. Selbst wenn der Innenminister Ihres Bundeslandes, wie dem Plenarprotokoll vom 21.9.2016 zu entnehmen ist, wankender Haltung ist und die Norderstedter Erklärung der SPD-Innenminister vom 7.11.2016 einen – aus unserer Sicht fatal falschen – Wendepunkt zu markieren scheint, so liefert die SPD in ebendiesem Dokument die Unsinnigkeit einer etwaigen, hier diskutierten Strafrechtsverschärfung zugleich frei Haus mit. Wir zitieren aus der Norderstedter Erklärung:
„Bereits im Jahr 2011 wurde für Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsbeamte in § 113 StGB die angedrohte Höchststrafe von zwei auf drei Jahre erhöht. Dabei konnte bisher nicht festgestellt werden, dass diese Strafmaßerhöhung eine generalpräventive Wirkung gezeigt hat. Vielmehr sind die Fallzahlen seit dem Jahr 2011 weiter gestiegen. Wir sehen weiteren gesetzgeberischen Handlungsbedarf.“
Ein anschaulicheres Praxisbeispiel für das vernunft- und sinnbefreite Reiten eines toten Pferdes kann man sich gar nicht vorstellen!
Es ist unsachlich und darf nicht zur Richtschnur gesetzgeberischen Handelns werden, wenn man – wie im Antrag der CDU zu lesen – zur Begründung von Strafgesetzverschärfungen auf Einzelfälle verweist, so schlimm diese auch sein mögen. Der Gesetzgeber darf sich in seinem Tun nicht auf frische Eindrücke schlimmer Ereignisse stützen, sondern sollte maßvoll und sachlich arbeiten.
Zur Begründung ansteigender Kriminalität gegenüber Polizisten und Polizistinnen weisen wir darauf hin, dass ein derartiges Argumentieren nicht mit verengtem Blick auf eine 1-Jahres-Entwicklung statistisch per se streuender Zahlen erfolgen sollte. Mit Blick auf jahrelange Tendenzen stellen sich die jüngsten Zahlen (aus heutiger Sicht) weit weniger dramatisch dar, als vielfach vorgebracht und emotional übersteuert in Worten bebildert wird.
Bei dieser Gelegenheit und in diesem Zusammenhang kritisieren wir die Tatsache, dass ein nüchterner Vergleich von Zahlen zur Gewalt gegenüber Polizeibeamten aufgrund der Änderungen der Richtlinien zur PKS sowieso leider nur von 2011 bis 2015 möglich sind. Wir zitieren dazu eine Aussage aus dem niedersächsischen Innenministerium vom 5.12.2016 gegenüber der Redaktion unseres Internet-Blogs:
„In der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) werden alle der Polizei bekannt gewordenen Straftaten einschließlich der mit Strafe bedrohten Versuche registriert. Ich weise in diesem Zusammenhang darauf hin, dass nach den bundesweit einheitlichen PKS-Richtlinien bei mehreren Rechtsgutverletzungen diejenige erfasst wird, die mit der höchsten Strafe bedroht ist. Dementsprechend ist bei einer Widerstandshandlung mit Körperverletzung immer die Körperverletzung als PKS-Delikt zu erfassen. Vor dem Hintergrund, dass die Erfassungsmodalitäten in der PKS im Kontext „Gewalt gegen Polizei“ letztmalig 2010 modifiziert wurden, ist ein entsprechender Fallzahlenvergleich erst seit dem Berichtsjahr 2011 möglich.“
Die von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und SSW in ihrem Änderungsantrag unreflektiert verwendete Begrifflichkeit der „Schutzlücke“ erhebt – ohne dies explizit und deutlich zu benennen – den Anspruch, gesetzgeberisch ein derartiges Strafgesetzgeflecht errichten zu können, dass lückenfrei sein, vielleicht sogar mehr oder weniger zu einer kriminalitätsbefreiten Gesellschaft führen könne. Das wäre ein Anspruch mit totalitärem Stallgeruch.
Von fast allen Seiten beklagt wird der so genannte angebliche „Akzeptanzverlust“ von Polizei- und Rettungskräften. Unabhängig von der Frage, ob es einen solchen Verlust gibt oder nicht, gilt: Respekt lässt sich nicht verordnen. Wer also mehr Respekt gegenüber Polizisten einfordert, der muss Polizisten sich so verhalten lassen, dass sie sich diesen Respekt erarbeiten. Respekt und Vertrauen lassen sich nicht unter Strafandrohung erzwingen. Gesellschaftliche Probleme wie diese – falls vorhanden – müssen an der Wurzel angefasst werden – auch wenn das ein langwieriges Handeln erfordert – und können nicht mittels Symbolpolitik auf Dauer erfolgreich angegangen werden.
In diesem Zusammenhang möchten wir punktuell und alles andere als abschließend auf zwei Dinge hinweisen:
Erstens:
Wenn die Tatsache (vereinzelt auftretender!) Gewalt von Polizisten an Nicht-Polizisten politisch ernsthaft „gewürdigt“ und in diesem Zusammenhang eine gerechtere Strafverfolgung umgesetzt werden würde, dann könnte dieses mittelfristig zu deutlich weniger Gewalt in entgegengesetzter Richtung führen.Zweitens:
Von 2014 bis 2015 hat der schleswig-holsteinische Landtag ein aus unserer Sicht versammlungsfreiheitsfeindliches und im Gegenzug behörden-, dabei nicht zuletzt polizeifreundliches Länderversammlungsgesetz verabschiedet. Dass diese Entwicklung viele Bürger, die dieses wertvolle Grundrecht wahrnehmen und mit demokratischem Leben erfüllen, zutiefst enttäuscht hat, davon kann man fest ausgehen. Und wenn die Verbitterung aus diesem Vorgang in einzelnen Fällen in mehr Unzufriedenheit und sich diese vielleicht weiter gehend sogar in verbaler oder physischer Gewalt gegenüber einzelnen Polizeibeamten entlädt, dann ist das nicht gut oder richtig, darf aber andererseits auch nicht grundsätzlich verwundern.
Ob man stolz darauf sein kann, „neue Teleskopschlagstöcke“ für die Polizeibediensteten angeschafft zu haben, wie Frau Peters von der SPD im Landtag am 21.9.2016 vorgetragen hat, das halten wir zumindest für zweifelhaft.Bei Umsetzung der Anträge bzw. der dazugehörigen Bundesratsinitiative besteht zudem die Gefahr, dass sie eine erhebliche negative Auswirkung auf die bundesweite Versammlungspraxis bzw. auf die freiheitliche Wahrnehmung des in Artikel 8 festgeschriebenen Grundrechts haben kann. Zur Erläuterung zitieren wir aus einem Blogbeitrag des Berliner „Metronauten“ aus dem November 2016:
In den nächsten Tagen und Wochen wird das Bundesjustizministerium einen Gesetzentwurf vorstellen, der sich mit dem Schutz von Polizeibeamten, Feuerwehrleuten und Rettungskräften beschäftigt. Der Plan zu so einem Gesetz geistert schon länger herum, wurde jetzt aber von der großen Koalition in einem neuen Sicherheitspaket beschlossen.
Es handelt sich bei den möglichen Auswirkungen des Gesetzes um ein vollkommen in der gesellschaftlichen Debatte ausgeklammertes Thema, das jedoch große indirekte und schädliche Auswirkungen auf die Versammlungsfreiheit entfalten könnte. Ich habe den Eindruck, dass sich niemand an das Thema rantraut, weil man als Bedenkenträger schnell in die “Du willst Polizisten nicht vor Gewalt schützen”-Ecke gedrängt werden kann.
Das Thema wird unter anderem in dem vom schwarz-grünen Hessen im Bundesrat forcierten Schutzparagraf 112 behandelt. Dieser Paragraf (Gesetzentwurf als PDF) wertet gewalttätige Angriffe auf Polizisten nicht nur als Körperverletzung oder ähnliches, sondern setzt einen zusätzlichen Paragrafen obendrauf, für den ein Angreifer dann angeklagt wird. In der Hessener Bundesratsinitiative ist von mindestens 6 Monaten bis maximal 10 Jahren Freiheitsstrafe die Rede.
Problem 1: Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes
In der saarländischen Bundesratsinitiative hingegen wird die Änderung des Paragrafen 113 (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) gefordert. Hierbei zielt die Änderung darauf ab, den Paragrafen so zu ändern, dass sich die Beamten – nicht wie bisher – in einer Amtshandlung befinden müssen, sondern dass der §113 für alle Angriffe auf die Berufsgruppen gilt. Die Gesetzesinitiative nennt ausdrücklich folgende betroffene Gruppen/Situationen: “Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte, die präventiv-polizeilich Demonstrationszüge begleiten, allgemeine Routinekontrollen durchführen”.
Beide Gesetzesinitiativen bergen ähnliche Probleme. Das erste ist der Widerspruch zum im Grundgesetz verbrieften Gleichheitsgrundsatz. Dieser sieht vor, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich behandelt werden. Das heißt, dass ein Angriff auf einen Menschen ein Angriff auf einen Menschen ist, und es keine Rolle spielt, wer der Betroffene von Gewalt ist. Alle Menschen werden vor dem Gesetz, so zumindest die Theorie, gleichbehandelt. Die Einschränkung im bisherigen Gesetz, dass sich der Beamte in einem Vollstreckungsakt befinden muss, trägt eben jenem Gleichheitsgrundsatz Rechnung.
Problem 2: Versteckte Einschränkung des Demonstrationsrechts
Das zweite Problem ist: beide Gesetzesinitiativen können eine versteckte Einschränkung des Demonstrationsrechts bedeuten.
Es kann auf Demonstrationen schnell – egal, wer angefangen hat – zu Rangeleien und unübersichtlichen Situationen kommen. Hierzu muss die Demonstration nicht einen grundsätzlich unfriedlichen Charakter haben. Insbesondere bei Aktionen des zivilen Ungehorsams, die ja grundsätzlich einen friedlichen Charakter haben, aber gewisse Regelverletzungen wie Blockaden oder ähnliches beinhalten, kommt es schnell zu Situationen, in denen Demonstrierende direkt mit der Polizei konfrontiert sind. Diese Situationen können aufgrund der Stresssituation schnell eskalieren, wieder unbenommen der Tatsache, wer begonnen hat.
In einer solchen unübersichtlichen Situation geraten Demonstrierende nun schneller in den Fokus von Ermittlungen und müssten beim hessischen Modell sogar mit einer Mindest-Freiheitsstrafe ohne Bewährung rechnen. Die heute schon verbreitete Praxis der Polizei, bei Anzeigen wegen Polizeigewalt eine Gegenanzeige wegen Widerstand zu stellen, lässt nichts Gutes erwarten, wenn der Paragraf erweitert und/oder verschärft wird. Es ist davon auszugehen, dass mehr Menschen solche Anzeigen erhalten werden. Darunter wie auch heute, zahlreiche Unschuldige.
Ziviler Ungehorsam besonders betroffen
Für die Protestpraxis des zivilen Ungehorsams bedeutet jedoch ein gestiegenes Risiko, auch unbeteiligt und unschuldig in Ermittlungen und Strafverfolgung zu geraten eine deutlich höhere Teilnahmehürde. Auch bei ganz normalen Demos könnten die geplanten Verschärfungen, Menschen überhaupt davon abhalten, demonstrieren zu gehen. Hier liegt die versteckte Einschränkung des Versammlungsrechtes der geplanten Gesetze, die bislang in der eh schon dürftigen Berichterstattung vollkommen unter den Tisch gefallen ist.
Abschließend möchten wir auf eine Äußerung von Herrn Peters von Bündnis90/Die Grünen aus Ihrer zum Thema gehörigen Plenardebatte vom 21.9.2016 eingehen.
Herr Peters sagte:
„Respekt wird durch Erziehung und Bildung erzeugt.“
Wir meinen, dass stattdessen die freie Entfaltung der Persönlichkeit möglichst aller Menschen und die darin eingebette Ausbildung der Empathiefähigkeit im Vordergrund stehen muss: Nur wer als Mensch in der Lage ist, anderen Menschen gegenüber Mitgefühl zu empfinden, der wird diesen anderen Menschen gegenüber nicht unmenschlich handeln können, geschweige denn ihnen Gewalt antun.