Wir schreiben das Jahr 2025, es ist wenige Tage vor Weihnachten und nur dank der Recherche öffentlich-rechtlicher Sender wird inmitten des allgemein herrschenden Jahresendstresses bekannt (und deswegen entsprechend wenig rezipiert und öffentlich so gut wie gar nicht behandelt!), dass die Bundesregierung den Auslandsgeheimdienst („Bundesnachrichtendienst (BND)“) von einem Informationssammler zu einem heimlich und rechtlich mehr als fragwürdig agierenden Einsatzdienst mit zahlreichen Sonderbefugnissen umkrempeln will. „Insgesamt umfasst der Entwurf 139 Paragraphen, was einer Verdopplung des bisherigen Normenwerks entspricht …“ schreibt Stefan Krempl in seinem lesenswerten Beitrag dazu – einer der wenigen, der das ganze überhaupt medial behandelt.
Der in den letzten dutzend Jahren vom Paulus zum Saulus mutierte „Grüne“ Konstantin von Notz findet das richtig super und verkündet in Engelsmanier ohne Scheu vor der Verwendung von aktuellem Neusprech: Es sei „notwendig, die Zeitenwende auch in den Nachrichtendiensten zu vollziehen (…) Die Grünen seien bereit, auch über präventive Cyberangriffe und Sabotageaktionen zu reden.“ Petra Kelly rotiert im Grab.
Doch darum soll es hier gar nicht gehen – diese Weihnachtsgeschichte geht noch weiter, denn die Regierung hat noch ein Weihnachtsgeschenk für die Menschen im Vorweihnachtsgetaumel.
Am 4. Advent (es sind noch drei Tage bis Heilig Abend) gibt sich die derzeitige Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (zu dieser siehe u.a. auch hier) die Ehre kundzutun, wie ihre frohe Botschaft lautet: Ein neues Gesetz zur (erneuten) Errichtung einer staatlich verordneten Vorratsdatenspeicherung werde erscheinen. Diese gute Nachricht erhalten die Menschen aber nicht mittels eines Engelschores, auch nicht dank einer öffentlich verkündeten Pressemitteilung aus dem Ministerium. Nein, die Frau Ministerin wählte als Medium ein Sonntagsblatt, namentlich die „BILD“, bekannt für Populismus, Hetze und Wahrheitsverdrehung.
Im nächsten Akt dieser Verkündigung lauschen wir dem Deutschlandfunk in seiner ersten Meldung zur Sache. Man beachte: Die zuständigen Nachrichtenredakteure scheinen noch nicht begriffen zu haben, worum es eigentlich geht. Da ist von „Speicherung von IP-Adressen“ die Rede. Und warum die Ministerin das so wichtig findet. Kein Wort aber von „Vorratsdatenspeicherung (VDS)“.
Bei der Argumentation für das neue, ja eigentlich gar nicht neue Vorhaben hinken die Parteipolitiker nach wie vor sachlich hinterher.
Frau Hubig stellt in der „BILD“ dar, es ginge doch um das (hehre) „Ziel, Kriminalität im Internet wirksamer zu bekämpfen. Bei Kinderpornografie, Online-Betrug und strafbarem Hass im Netz kämen Täter bislang viel zu oft davon.“ Und „die Vertraulichkeit der Kommunikation bleibe strikt gewahrt, die Erstellung von Bewegungs- und Persönlichkeitsprofilen sei ausgeschlossen.“ (Hat jemand etwas anderes behauptet? Und kann die Bildung von solchen Profilen mittels der VDS tatsächlich ausgeschlossen werden? Keiner fragt das.)
Auch andere Medien berichten ähnlich unkritisch und einseitig von dem Vorhaben, scheinen die Argumente der öffentlichen Debatte um die Abwägung von basalen Rechten der Menschen (Grundrechten) aus den Jahren 2007ff. und die Urteile von BVerfG und EuGH und deren Substanz inzwischen völlig vergessen zu haben.
Der Deutschlandfunk lädt am Folgetag (es ist der 22.12.2025) als sein Beitrag zur Debatte erst mal einen klaren Befürworter der VDS zum Interview ein, den Polizisten und ehemaligen Vorsitzenden des Bundes deutscher Kriminalbeamter, Sebastian Fiedler, SPD.
Zum Begriff der „anlaßlosen Massenüberwachung“ (was ist die VDS denn sonst?) muss der erst einmal „tief durchatmen“ und versucht diese Bezeichnung als „Kampfbegriff“ zu diskreditieren. „Das ist in der Sache völlig daneben.“ Dann fängt er erst mal an, einen fiktiven Fall von sexualisierter Gewalt an Kindern („Kinderpornografie“) zu entwerfen (eines der aktuellen Totschlagargumente) und meint daran aufzeigen zu können, dass daran doch offensichtlich sei: Mit Massen habe das nichts zu tun, weil die Polizei nur in diesem einen konkreten Fall die IP-Adresse der Quelle solcher Bilder/Videos benötige.
Herr Fiedler unterschlägt also einfach die Tatsache, dass eben doch von allen sich im Internet „bewegenden“ Menschen sämtliche IP-Adressen erfasst und gespeichert werden sollen. Anlaßlos. Und was dieser Umstand mit den Menschen im Einzelfall macht oder machen kann, dass sie sich nämlich selbst einschränken und in der Wahrnehmung ihrer Grundrechte beschneiden oder einschränken. Dieser Effekt einer VDS ist eine Duckmäusermentalität, die der Menschheit nicht gut tut.
Dieser Eingriff in die Grundrechte sei doch gar nicht so groß, meint der Herr Fiedler. Und führt weiter aus, dass er sich gar nicht vorstellen kann, dass der „mündige Bürger“ durch die VDS in seiner Freiheit eingeschränkt werden könne. „Das einzige, was dem mündigen Bürger passiert ist, dass die TK-Anbieter für drei Monate Zahlenreihen speichern und es passiert sonst erst mal gar nichts.“ Damit verharmlost er und bestreitet zugleich, dass es diese Beschneidung von Menschenrechten tatsächlich gibt und deswegen eine Abwägung von Nutzen und „Kosten“ einer VDS vorzunehmen ist. Das taten auch alle Gerichte, auf die sich Herr Fiedler im Interview sonst so gerne beruft. Stattdessen lenkt er ab indem er von einem angeblich vereitelten Rizzinanschlag von „Castrop-Rauxel“ („ein ganz großer Terrorfall“) zu erzählen beginnt. Einem Fall, über den (und vor allem dessen Strafverfolgungs-Ausgang) öffentlich nicht viel bekannt ist und dazugehörige Fakten, die der Interviewte dazu vorträgt, gar nicht nüchtern überprüft werden können. Das ist ein unfaires und eigennütziges Vorgehen des Polizisten. (Der Fall wirft bei genauerer Betrachtung indessen ganz andere Fragen auf! Aber darum soll es hier nicht gehen.)
Herr Fiedler ist sich auch nicht zu schade, die Kritik an der VDS pauschal als Kritik „von Linken, von Grünen“ abzuwerten zu versuchen. Ob gewollt oder nicht: Er ignoriert damit nicht nur den breite zivilgesellschaftlich basierenden Widerstand gegen die VDS (Stichwort: Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung) sondern zementiert damit schäbigerweise weiter den Populismus der Neurechten und Faschisten (Stichwort: „linksgrün“).
Insgesamt wird man bei diesem Interview auch den Eindruck nicht los, dass der Interviewer des DLF, Daniel Heinrich, dem SPD-Politiker Steilvorlagen für dessen Position liefert und nur weniger als halbherzig eine kritische oder sachlich informierte Haltung einzunehmen vermag.
Diese alle Seiten betrachtende und abwägende Position vermag da eher Gudula Geuther in ihrem DLF-Kommentar vom gleichen Tag einzunehmen.
„Auch ist die Strafverfolgung kein durchschlagendes Argument. Denn anders als vielfach zu hören ist ist nicht gewiss, dass die Vorratsdatenspeicherung viel hilft. Die Studienlage ist dünn und veraltet aber sie besagt: Das bringt nicht viel. Aktuell können die Anbieter auch mit den vorhandenen Daten den ganz großen Teil der Anfragen beantworten. Umso wichtiger ist in der Abwägung die Sache mit dem Vertrauen. Die Idee, die das Bundesverfassungsgericht einmal zur Formulierung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung gebracht hat war der mündige Bürger, der keine Scheu haben soll, sich frei zu bewegen. Auch nicht, kann man heute hinzufügen, wenn es um Psychotherapie, Whistleblowing oder anonyme Strafanzeigen geht. All das gilt nach wie vor auch im Internet, vielleicht sogar ganz besonders.“
Danke, Frau Geuther. Und viellicht fehlt es nach wie vor an sinnbildlichen Vergleichen, was eine VDS in unserer Wirklichkeit des ständigen Verbundenseins mit dem Internet, dem ständigen Hinterlassen von Persönlichkeitsspuren im Daddeln mit dem Smartphone bedeutet. Wären die Menschen bspw. damit einverstanden, dass es einen staatlich verhängten Zwang zum ständigen Umhängen einer Identifikationsnummer bei jedem Gang im öffentlichen (und nichtöffentlichen!) Raum inklusive andauernder Videoüberwachung gäbe? Oder KFZ-Kennzeichenscanner über jeder Straße? Beides verbunden mit einer dreimonatigen Speicherfrist aller dieser Persönlichkeitsdaten?
Ein weiterer Gedanke bei allem: Wer glaubt in den Zeiten nach Snowden und bei täglichen Berichten über Datenlecks und IT-Pannen noch daran, dass die so in Haufen gesammelten Menschendaten bei den Providern sicher sind und nicht von interessierten Konzernen und/oder Geheimdiensten aller Welt (bspw. USA, China, Russland etc.) abgegriffen und für eigene Zwecke (welche?) missbraucht werden (können)?







