Zum 40. Geburtstag noch einmal: Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung in leichter Sprache

Heute wird das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung 40 Jahre alt – am 15. Dezember 1983 verkündete das Bundesverfassungsgericht das wegweisende so genannte „Volkszählungsurteil“. Dessen Bedeutung steigt mit der Zunahme der Digitalisierung im gesellschaftlichen Leben ständig.

Ähnlich massiv zunehmend sind auch die Bedrohungen und Beschneidungen dieses wesentlichen Grundrechts, das sich auf der Würde des Menschen und des Rechts auf freie Entfaltung des Menschen, fundamentiert in den Artikeln 1 und 2 des Grundgesetzes stützt.

Anlässlich dieses „Geburtstags“ feiern und diskutieren wir am morgigen Samstag, den 16.12.2023 in Hannover.

So langsam füllt sich auch das dazugehörige Pad mit den Vorschlägen für die Tagesthemen. Der Anwalt und Menschenrechtsaktivist Rolf Gössner wird zu Gast sein, ebenso andere Aktivisten aus dem Gebiet des Menschen- und Persönlichkeitsrechtsschutzes.

Das Treffen morgen ist kostenlos und anmeldefrei.

Wir nehmen den heutigen Tag zum Anlaß, um die von uns vor Jahren geleistete Übersetzung wichtiger Teile des Volkszählungsurteils in leichte Sprache erneut zu präsentieren:

1.

Heutzutage gibt es viele Computer und Rechenmaschinen. Diese Anlagen speichern viele Informationen. Die Anlagen untersuchen diese Informationen und arbeiten mit ihnen. Das nennt man Daten-Verarbeitung. Die Computer werden darin ständig schneller und immer besser. Unter diesen Daten sind auch viele Informationen über einzelne Menschen.

In Deutschland gibt es das Grund-Gesetz. Das Grund-Gesetz ist das wichtigeste Gesetz von allen. Im Grund-Gesetz steht, dass sich jeder Mensch frei entfalten können soll. Er soll seine eigene Entwicklung selber beeinflussen und bestimmen. Im Grund-Gesetz steht auch, dass jeder Mensch eine eigene Würde besitzt. Niemand darf mit anderen Menschen würdelos umgehen.

Deswegen darf jeder Mensch selber bestimmen, welche Informationen er über sich selber an andere weiter gibt. Er darf auch sagen, was andere mit seinen Informationen tun dürfen und was nicht.

2.

Für dieses Recht hat das Bundes-Verfassungs-Gericht einen Namen. Das Gericht nennt das das “Recht auf informationelle Selbst-Bestimmung”.

Das Gericht sagt, dass dieses Recht eigentlich immer gilt. Ausnahmen davon darf es nur unter bestimmten Bedingungen geben. Ausnahmen darf es nur dann geben, wenn das für alle anderen in Deutschland sehr wichtig ist. Außerdem muss es dafür immer ein Gesetz geben. So ein Gesetz muss eindeutig sein. Das bedeutet, dass man das Gesetz verstehen kann. Das Gesetz muss unmißverständlich sein. Und man soll außerdem sehr darauf achten, dass so ein Gesetz gut formuliert ist: Wenn es einen Menschen eventuell gefährdet, muss man sehr vorsichtig damit umgehen.

3.

Ob man also mit Informationen über einen Menschen gegen seinen Willen umgehen darf oder nicht, hängt von vielen Dingen ab. Zum Beispiel: Wenn man nicht weiss, zu welchen Menschen die Informationen gehören, dann darf man diese Informationen in ein Computersystem geben. Dann nennt man diese Informationen: “anonymisierte Daten”. Manchmal möchte man wissen, wie die Menschen in einem Land leben. Dann fragt man alle Menschen und sammelt diese Informationen. Es kommt dabei nicht darauf an, wie ein einzelner Mensch lebt. So etwas nennt man Statistik.

Für eine Statistik darf man anonymisierte Daten über Menschen sammeln.

4.

Im Jahr 1983 sollte es eine Volks-Zählung geben. Eine Volks-Zählung ist eine Statistik. Bei einer Volks-Zählung möchte man lernen, wie die Menschen in einem Land leben. Dazu stellt man vielen Menschen viele Fragen. Dann lässt man einen Computer die Antworten der Menschen auswerten.

Für die Volkszählung von 1983 gab es ein Gesetz. Das Gesetz hieß “Volks-Zählungs-Gesetz 1983”. Das Gericht sagt, dass dieses Gesetz eindeutig geschrieben ist. An bestimmten Stellen soll das Gesetz aber noch verbessert werden. Es muss besser beschrieben werden, wie man die Volks-Zählung durchführt.

5.

Das Volks-Zählungs-Gesetz von 1983 hat aber einen großen Fehler. Denn das Gesetz erlaubt die Weitergabe von persönlichen Informationen über einzelne Menschen. Das aber gehört verboten. Wenn man vielen Menschen viele Fragen stellt, dann darf man die Antworten nicht an Behörden weitergeben. Und darum ist das Volks-Zählungs-Gesetz von 1983 unzulässig. Es muß neu geschrieben werden.

Deswegen musste die Volks-Zählung damals verschoben werden.

Das Urteil des Bundes-Verfassungs-Gericht ist sehr lang. In weiteren Teilen des Urteils sagt das Gericht unter anderem:

Früher wurden die Daten von Menschen mit der Hand auf Papier-Bögen eingetragen. Heute werden die Daten in Computern gespeichert und verarbeitet. Das nennt man automatische Daten-Verarbeitung. Im Computer können die Daten auf unbestimmte Zeit gespeichert werden. Und sie können innerhalb weniger Sekunden wieder abgerufen werden. Außerdem kann man verschiedene Daten-Sammlungen zusammen bringen.

Wenn diese Daten-Sammlungen dann vom Computer verarbeitet wird, kann folgendes passieren:

Alle diese gesammelten Daten aus verschiedenen Bereichen von dem Leben eines Menschen ergeben ein Ab-Bild über den Menschen, von dem diese Daten stammen. Dieser Mensch kann das oft nicht mehr kontrollieren. Er kann nicht über-prüfen, ob die Daten überhaupt richtig sind. Er kann nicht kontrollieren, ob die Rechen-Ergebnisse etwas richtiges über ihn aus-sagen. Und er kann vielleicht nicht mehr erkennen, was andere mit diesen Informationen machen.

Das alles kann den Menschen in seinem Leben beeinflussen. Der Mensch kann sich davon unter Druck gesetzt fühlen.

(Absatz 153 im Urteil vom Bundes-Verfassungs-Gericht.)

Im Grund-Gesetz steht aber, dass der Mensch einen Wert und eine Würde hat. Der Mensch soll frei selbst bestimmen können, wann er Informationen über sich selber an andere gibt und welche Daten das sind. Wegen der automatischen Daten-Verarbeitung muss man deshalb das Recht auf die freie Selbst-Bestimmung besonders schützen.

Ein Mensch kann sich gehemmt und unsicher fühlen, wenn er nicht gut genug weiß, wer welche Informationen über ihn hat. Dann ist der Mensch nicht mehr richtig selbst-bestimmt. Er ist in seiner Lebens-Planung und in seinen Entscheidungen eingeschränkt. Er ist weniger frei. Er kann sich nicht mehr frei entfalten. Der Mensch mag unsicher werden und befürchten, dass ihm sein Verhalten Nachteile bringt. Zum Beispiel durch das Mitmachen in einer Bürger-Initiative oder durch die Teilnahme an einer Demonstration. Um nicht aufzufallen, würde er seine Grund-Rechte nicht mehr ausüben. Vielleicht versucht der Mensch dann, möglichst nicht aufzufallen.

Das ist auch nicht gut für unsere Gemeinschaft. Jeder Mensch soll nämlich die Freiheit haben, selbst-bestimmt an ihr mitwirken zu können.

(Absatz 154 im Urteil vom Bundes-Verfassungs-Gericht.)

Deshalb muss jeder Mensch davor geschützt werden, dass unbegrenzt Daten über ihn erfasst, gespeichert, verarbeitet oder weitergegeben werden.

Das Grund-Recht auf informationelle Selbst-Bestimmung soll das garantieren:

Jeder Mensch darf selbst bestimmen, wem er welche Information über sich her gibt und was mit diesen Informationen passiert.

(Absatz 155 im Urteil vom Bundes-Verfassungs-Gericht.)

Ob Informationen über einen Menschen von anderen benutzt werden dürfen, muss in Gesetzen fest-geschrieben werden. Ansonsten ist das verboten. Verbote gegen unerlaubte Weitergabe oder Verwertung von persönlichen Daten schützen den Menschen.

Wer mit solchen auf einen Menschen bezogene Informationen arbeitet, der hat bestimmte Pflichten:

1. Die Pflicht, die betroffenen Menschen aufzuklären.

2. Die Pflicht, diesen Menschen auf deren Wunsch hin eine umfassende Auskunft über den Umgang mit ihren Daten zu erteilen.

3. Die Pflicht, unerlaubt gespeicherte Daten zu löschen.

(Absatz 162 im Urteil vom Bundes-Verfassungs-Gericht.)

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