Über das als „Deutschlandticket“ bezeichnete 49-Euro-Ticket, dem mehr als fünfmal teureren und mit Digitalzwang verknüpften Nachfolger des 9-Euro-Tickets haben wir berichtet und recherchieren weiter zu den bislang unbekannten und unbeleuchteten Datenerhebungsstrukturen dahinter.
Nun erreichte uns folgendes Gedächtnisprotokoll zur Lebenspraxis eines Bahnreisenden mit diesem Ticket, das wir gerne mit der Öffentlichkeit teilen möchten:
Ich weiß nicht, ob das bei der NWB [NWB steht für „NordWestBahn„, deren Motto: „Fahr am besten in den NordWesten“, Anm. d. Red.] oder sonstwo typisch ist, aber nun ist es passiert.
Ich habe das „Deutschlandticket“ vom HVV, denn mein Jobticket hat sich automatisch umgewandelt. Das Ticket ist rein virtuell („digital“) und in dieser Variante anscheinend nicht als Chipkarte erhältlich.
Auf der Website des HVV fehlt ein Hinweis, wie es ohne „Smartphone“ verwendet werden kann.
Ich dachte also „einfach jeden Monat ausdrucken, halb so wild“. Mehrere Kontrollen verliefen normal. Da hatte ich mir wohl umsonst Sorgen gemacht. Auch wenn es da nicht stand – so würde es wohl klappen.
Am 14.9., NWB, RS3 um 07:31, Bremen nach Oldenburg. Ich bin auf dem Weg zu einer kleinen Konferenz zum Anlass des Ruhestands eines Professors. Zum Glück bin ich mit einem Zeugen unterwegs.
„Die Fahrkarten bitte!“
Ich krame meinen sorgfältig ausgedruckten Zettel mit dem aktuellen Code hervor und reiche ihm den.
Ich habe den Zettel diesmal so gefaltet, dass nur der Code (knickfrei) sichtbar ist. Rechne damit, wie vorher im „Metronom“ und manchmal beim HVV noch nach dem Ausweis gefragt zu werden, mehr nicht.
Er guckt komisch, scannt ihn aber zunächst ohne zu murren.
Dann: „Und das Original bitte“.
Ich bleibe ruhig. Sage einfach: „Aber das ist das Original“.
Er entfaltet den Zettel ohne zu fragen und studiert ihn. „Ihren Ausweis bitte“.
„Hier“.
„Das Original ist auf Ihrem Handy“.
Boah, was für eine uferlose Anmaßung in der neuen digitalvermurksten Ignoranz. Und schöne neue Welt. Und ich frage mich, was die für verquere Vorgaben bekommen haben könnten. Ich bleibe ruhig, aber bestimmt:
„Das Original ist genau diese digitale Information, weiter nichts“.
„Haben Sie das ausgedruckt? Sie dürfen das nicht ausdrucken. Das ist Urkundenfälschung“, versucht er mir Angst zu machen.
„Bitte was? So einen Quatsch habe ich noch nie gehört. Die Information ist genau die Gleiche. Das ist genau der gleiche Code. Hier, sehen Sie!“ (gestikuliere zum Handy meines Kollegen).
„Sie erzählen Bullshit“ (ER zu MIR).
„Nein, was Sie erzählen, ist Bullshit. Und ich hätte gern auch Ihren Namen“.
„Den kriegen Sie nicht.“ – „Wegen Datenschutz“ fügt er hinzu (und grinst).
Ja, jeder Depp weiß heute, dass er sich hinter so einem Nebel verstecken kann. Bloß ist er in einer offiziellen Position unterwegs und übt diese gerade gegen mich aus – egal, jedenfalls habe ich die Zugnummer und Uhrzeit.
Dann will er nochmal meinen Ausweis sehen. „Geben Sie mir nochmal Ihren Ausweis“.
„Haben Sie sich den Namen nicht gemerkt? Sie haben gerade Ihre Kontrolle schon durchgeführt. Es gibt keinen Grund, warum ich Ihnen den jetzt nochmal geben sollte.“
„Doch, aber ich habe auf den Zettel geschaut.“
Ich lasse ihn das gewinnen. Ich merke, er ist zwar vorlaut, aber bereit zu gehen. Und ich will ankommen.
„Und jetzt Ihren Namen“, frage ich ihn nochmals.
„Den geb ich Ihnen nicht. Datenschutz“.
Und:
„Wenn Sie weiter diskutieren wollen, dann nur an der nächsten Station mit der Polizei. Und dann sind Sie dran, wegen Urkundenfälschung“.
Aber er will wohl nur noch recht behalten, merkt dass er mir nichts kann.
Ich schaffe es, nichts zu erwidern.
So gesehen ist nichts passiert. Aber wer bei der Vergooglung des Lebens nicht mitgeht, darf wohl mit REIBUNG rechnen.
Eine Minute später: Mein Kollege schaut in die AGB. Davon abgesehen dass es unsinnig und falsch wäre, steht da natürlich zwar etwas von „Ihrem Smartphone“, aber nichts von „nicht drucken“. Nicht auszudenken, was ohne Zeugen passiert wäre.
Ich habe eine Stunde mit dem Schreiben dieses Gedächtnisprotokolls verbracht und mein Genuss der lang erwarteten Konferenz ist durch das Verhalten der NWB empfindlich beeinträchtigt. Außerdem mache ich mir Sorgen wegen der Rückreise. Wieder NWB, um zu sehen ob das ein systematisches Problem bei denen ist? Und riskieren, auf der Strecke zu landen? Oder lieber mit den Profis von der DB? Muss ich in Zukunft öfter damit rechnen? Unbeschwertes Reisen geht anders.
PS:
Auch die Kameras im Zug, die jede Regung aufnehmen, tragen zu dieser Verunsicherung bei. Meine Beschwerde an die NWB ist raus, aber wird man es sich womöglich bequem machen, das Bildmaterial sichten und mich mit Maske und Kapuze (die ich auch gerade wegen dieser Vorratsdatenspeicherung trage), als offensichtlichen Querulanten abstempeln?
.
[UPDATE]
Die Nordwestbahn hat auf eine Beschwerde des Betroffenen umgehend reagiert und sich ausdrücklich dafür entschuldigt. Die Situation würde mit den betroffenen Mitarbeitern besprochen und ausgewertet werden. Kein Wort dazu, dass ein ausgedrucktes QR-Code-Ticket in irgendeiner Weise unzulässig sein könnte.