Am 12.9.2020 berichteten wir über die am gleichen Tag in Hannover stattgefundenen Demonstrationen und über in diesem Zusammenhang auffällige, unserer Beurteilung nach rechtswidrige Videoüberwachung der Versammlungen durch die Polizei.
Hervorstechend dabei eine Beobachtung, bei der ein einzeln stehender Polizist in Uniform eine der Demos mit einem Smartphone filmte und auf direkte Ansprache dazu mit uns merkwürdig erscheinenden Begründungen und Ausreden sich zu rechtfertigen versuchte.
Unter anderem tauchte in diesem Zusammenhang – für uns als Redaktion neu – die Existenz und der fragwürdige Betrieb des von der Polizei Niedersachsen von einem lokalen Unternehmen geleasten „Niedersachsen-Messengers (NIMes)“ auf – ein interner digitaler und Ende-zu-Ende verschlüsslter Chat-, Channel- und Kommunikationsraum, exklusiv nutzbar für Polizist*innen, ja sogar (und in übergroßer Mehrzahl) auf deren privaten Smartphones. Dass dieses nicht nur unlösbare Sicherheitsprobleme mit sich bringt sondern die Unkontrollierbarkeit der Nutzung des „police social network“ die Gefahr des Missbrauchs durch (rechts)extreme Teilgruppen der Polizeibehörde mit sich bringt, darüber hatten wir jüngst ausführlich berichtet. Dass die Polizei die mit dem lokalen die Medien beherrschenden Madsack-Konzern verquickte Betreiberfirma der App zudem noch unter der Hand werbefinanziert ist da nur noch eine Randnotiz.
Doch zurück zum Fall des mittels Smartphone die Demonstrant*innen filmenden Polizisten, der – so ergab eine erste Nachfrage – aus Göttingen stammte.
Nach einigen Monaten haben die internen Ermittlungen der polizeilichen Disziplinarbehörde zu diesem Vorgang nun einen Abschluss gefunden. Auf mehrfaches Nachfragen und Nachhaken hin ergibt sich folgendes an Fakten:
- Ja, der Polizist hat rechtswidrig gehandelt: „Eine Dienstpflichtverletzung konnte festgestellt werden. Eine interne Aufarbeitung hat stattgefunden.“
- „Interne Aufarbeitung“ bedeutet im Detail folgendes: „Die Vorkommnisse wurden mit dem betreffenden Polizeibeamten erörtert.“ Das klingt nach nicht mehr als einem Gespräch des Beamten mit seinem Vorgesetzten.
- Das verwendete Smartphone sei sein eigenes, privates Gerät gewesen, so die Polizeidirektion Göttingen uns gegenüber. (Das hat die Polizei allerdings erst auf insistierendes Nachfragen hin beauskunftet.)
- Zur Frage, ob der Polizist auf seinem Smartphone, mit dem er die Demo gefilmt hat, die NIMes-App installiert hat oder nicht, heißt es: „Ob die NIMes-App auf dem privaten Endgerät installiert ist, kann unsererseits nicht beantwortet werden.“ Das empfinden wir schon als sehr bedenklich, dass die Polizeidirektion Göttingen keine Informationen, keinen Überblick darüber besitzt, welche*r ihrer Beamt*innen auf ihren privaten Smartphones die (für die Polizei nicht kostenlose!) NIMes-App installiert hat.
- Und zur weiteren Frage, ob es im Zuge der Demonstrationen vom 12.9.2020 zur Übertragung von Bildern, Videos oder Audios via NIMes gekommen ist: „Eine Datenversendung im Zusammenhang mit den Versammlungen am 12. September 2020 über NIMes hat nicht stattgefunden.“ Das ist nun eine hanebüchende und haltlose Behauptung, denn wie das Nds. Innenministerium im anderen Zusammenhang bestätigt hat besitzt die Polizei keinerlei Kontrolle, ja noch nicht einmal eine Ahnung darüber, wer was über die NIMes-Channels und -Chats kommuniziert oder versendet.
- Nach Angaben der Polizei Göttingen war „der betreffende Polizeibeamte nicht allein sondern in seiner Einheit unter anderem zur Gewährleistung des störungsfreien Verlaufs der Versammlungen eingesetzt.“ Nicht aufklären kann die Polizei den Umstand, dass der Beamte dieser Behauptung zuwider vor Ort alleine unterwegs bzw. am Filmen war. Bei der Demobeobachtung waren keine Kolleg*innen zu sehen, die dem Beamten zugehörig waren oder denen er sich nach Beendigung des Gespräches vor Ort zuwandte oder zustrebte.
Fazit
Die Aufarbeitung des im Rahmen unserer Demonstrationsbeobachtung auffällig gewordenen versammlungsfilmenden Polizisten erfolgte aus unserer Sicht völlig unzureichend, wenn ein Gespräch mit dem Vorgesetzten das Ergebnis eines Disziplinarverfahrens sein soll.
Immerhin hat der Beamte während seiner Arbeit, in voller Polizeimontur mittels privaten Smartphones Videoaufzeichnungen einer friedlichen Versammlung angefertigt und diese – so seine eigene, unbestätigte Behauptung – an seine Frau daheim gesendet. Selbst wenn diese Aussage so weit richtig sein sollte erklärt das nicht sein Verhalten und ist nicht nur ein Missbrauch des Arbeitsverhältnisses sondern ein schwerer Eingriff in die Versammlungs- und Meinungsfreiheit mit der potentiellen Folge gewichtigen Vertrauensverlusts in die Polizeibehörden.
Und daraus folgte eben nicht mehr als eine „Erörterung“?
Weiter zeigt sich an diesem Vorfall, wie riskant und unbeherrschbar die Nutzung der NIMes-App an sich und vor allem auf privaten Smartphones der Polizeikräfte ist. Dem Missbrauch sind Tür und Tor geöffnet. Unzulässige Datentransfers in den Polizeiapparat rein oder Datenflüsse raus aus der Polizeiinterne können nicht kontrolliert, geschweige denn aufgedeckt und geahndet werden. Dazu kommt: Es ist von außen für Bürgerinnen und Bürger nicht ersichtlich, ob ein Polizist mit einem Dienst-Smartphone oder seinem privaten Smartphones hantiert. Und weiter: Grundsätzlich muss davon ausgegangen werden, dass das private Smartphone niedersächsischer Polizisten und Polizistinnen mit einer behördlichen NIMes-App ausgestattet ist und somit auch jenseits der Dienstzeit zum Daten- und Informationssender und -empfänger werden kann. Von all den anderen Kritikpunkten am NIMes-Konstrukt ganz zu schweigen …
Schließlich bleibt ein ungutes Gefühl bei der ungeklärten Frage, welche polizeiliche Aufgabe der beobachtete (und beobachtende) Polizeibeamte im Zuge der Demonstrationen eigentlich hatte. Ganz offensichtlich alleine und ohne Partner*in agierend, was nach Aussage der Polizeidirektion Göttingen eigentlich nicht sein kann. Im Gespräch vor Ort zudem alles andere als unbescholten oder uninformiert daherkommend, verwendete der Polizist doch Begriffe wie „Übersichtsaufnahmen, die keine Identifizierung von Personen zulassen würden“ wie selbstverständlich. Die Polizei hat uns gegenüber nichts beigetragen, diese Frage zu klären oder hierzu mehr Transparenz zu bieten.
Vertrauensbildende Maßnahmen gehen anders!