Zeitzeichen, 20

victor-klemperer-cc-by-sa-bundesarchiv_bild_183-s90733-mod-freiheitsfooIn unserer Kategorie „Zeitzeichen“ rezitieren wir in unregelmäßigen Abständen und in ebenso unregelmäßigem Umfang Nachrichtenschnipsel oder Zitate, die wir als möglicherweise stellvertretende Beispiele für größere Entwicklungen und gesellschaftliche Symptome empfinden: als Zeitzeichen.

Wir behalten uns vor, dieses oder jenes kurz zu kommentieren oder zu bewerten, oder auch nicht. :)

 

Symptomatisch für die Corona-Krise, ein Tweet von Alexander Fischer vom 31.3.2020:

Der NRW-Innenminister Reul am 20.4.2020 über seine Meinung zum Demonstrieren in Corona-Zeiten: In dieser Situation hätte ich keinerlei Verständnis dafür, dass ausgerechnet Versammlungen und Demonstrationen stattfinden dürften. Versammlungen stellen nicht nur ein gravierendes Infektionsrisiko dar – Ansammlungen mit mehr als zwei Personen in der Öffentlichkeit sind strafbewehrt verboten. Es gibt auch keinen Grund zu einer entsprechenden verfassungsrechtlichen oder rechtspolitischen Privilegierung der Grundrechtsausübung nach Artikel 8 des Grundgesetzes, zumal ich mich mit vielen anderen in der Meinung einig weiß, dass deren teils doch recht einseitig anmutende staatspraktische Bevorzugung in der Folge des sog. Brokdorf-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes vielleicht auch in anderen Zusammenhängen einmal auf den Prüfstand gestellt werden sollte. Vielleicht sollte man eher das Demokratie-Verständnis des Herrn Reul auf diesen Prüfstand stellen, sich aber nicht zu sehr wundern, was dann als Prüfergebnis hinten raus kommt …

DLF-Kurznachricht vom 24.4.2020: „Sachverständigenrat warnt Regierung: Der Vorsitzende des Sachverständigenrates, Feld, hat die Bundesregierung ermahnt, im Kampf gegen die Corona-Krise Maß zu halten. Er sagte dem „Handelsblatt“, man habe aktuell den Eindruck, jede Branche wolle spezifisch unterstützt werden. Das Gastgewerbe fordere den ermäßigten Mehrwertsteuersatz, die Autoindustrie die Abwrackprämie und der Handel Konsumgutscheine. Gehe man diesen Weg, könne man dies hinterher finanzpolitisch kaum mehr einfangen, warnte der Ökonom. Er mache sich eher Sorgen, ob es gelinge, zur wirtschaftspolitischen Normalität zurückzukehren. Forderungen nach der Einführung einer Vermögenssteuer erteilte Feld eine Absage. Der beste Weg, die Schulden abzuzahlen, sei eine intelligente Wachstumsstrategie. Wachstum, na klar – was sonst … du Dinosaurier!

Eine DLF-Kurznachricht vom 10.5.2020: Die baden-württembergische FDP hat dem Grünen-Politiker Palmer angeboten, zu den Freidemokraten zu wechseln. Der Landesvorsitzende Theurer sagte, der Oberbürgermeister von Tübingen sei herzlich willkommen. Palmer sei ein streitbarer, kluger Kopf, der manchmal über das Ziel hinausschieße, nicht immer den richtigen Ton treffe, aber auch zur Einsicht fähig sei.“ Har, har, har …

Der ehemalige Bundesinnenminister und in den letzten Jahren medial zum Altersweisen mutierte Herr Schäuble in einem Interview mit einer konservativen Tageszeitung vom 24.5.2020: „Schäuble kritisierte in dem Interview außerdem den Optimismus von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise als Schönfärberei. (…) „Wenn die Wirtschaft weltweit um bis zu zehn Prozent einbricht, dann ist die Annahme gewagt, alles werde fröhlich so weitergehen wie früher.“ Ach, alles war ja so fröhlich vor Corona …

Äußerungen eines Größenwahnsinnigen an der Macht – aus einer heise-Meldung vom 31.5.2020 über die Rede des US-Präsidenten Trump nach dem Start einer bemannten US-Weltraumrakete: „“Es ist unglaublich. Wir sind eine Nation der Pioniere. Wir waren das Volk, das über den Ozean gekommen ist, sich Halt auf einem riesigen Kontinent verschafft, eine Wildnis besiedelt und dann seine Augen auf die Sterne gerichtet hat“, verlas Trump, „Jetzt, wie unsere Vorfahren vor uns, wagen wir uns hinaus um eine neue prachtvolle Grenze zu erforschen. Sie heißt Weltraum. Unsere wagemutigsten Kunststücke, unsere epischsten Reisen, unsere größten Abenteuer und unsere besten Tage fangen gerade erst an. Amerikas stolzeste Augenblicke liegen noch vor uns.“ (…) „Wir verkünden, damit alle es hören, dass wir die volle Kraft des amerikanischen Charakters noch nicht geprüft haben“, hob der US-Präsident zum oratorischen Schlusssprint an, „Und die Welt hat die volle Herrlichkeit des amerikanischen Geistes noch nicht gesehen. Für unser Land, für unsere Kinder, und für den Marsch der Menschen zu den Sternen: Das Beste kommt erst“, bevor er zu den Klängen eines Liedes der britischen Musikgruppe Rolling Stones die Bühne räumte: „You can’t always get what you want.““ Verklitterung mörderischen Kolonialismus, Rassismus, religiöser Wahn. Alles zusammen.

Aus einer DLF-Kurznachricht vom 8.6.2020: „Nach der Tötung des Afroamerikaners George Floyd in den USA wird über Rassismus unter Polizisten debattiert – auch in Deutschland. (…) Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Wendt, sagte der Deutschen Presse-Agentur, er sehe in der Polizei erheblich weniger Rassismus als in der Gesamtbevölkerung. Die Organisation habe sich in der Vergangenheit als rechtsstaatliche und demokratische Institution erwiesen, die die Würde des Menschen ins Zentrum ihrer Arbeit stelle. (…)“ Na klar Herr Wendt, Sie kurzsichtiger Super-Kronzeuge mit rassistisch weiß übergetünchter Weste – wir sind hier ja schließlich nicht in Ghana oder Hamburg!

Titel eines DLF-Beitrag vom 11.6.2020: „Lübcke-Mord: Panne beim Verfassungsschutz. Inhaltlich: Wie der hessische Inlandsgeheimdienst („Verfassungsschutz“) maßgeblich mit dafür gesorgt hat, dass der Mörder von Herrn Lübcke zu seiner Pistole kam. Und wieder die Redewendung von einer „Panne“ im System statt nach die Möglichkeit des systemischen Problems in Betracht zu ziehen, dass sich Geheimdienste niemals mit einer Demokratie vertragen werden …

Aus einem anlässlich der Kritik am Polizei-Rassismus geführten Interview des DLF mit dem GdP-Polizisten Frank Schniedermeier vom 13.6.2020 (zum Nachhören hier): Also Nordrhein-Westfalen ist seit vielen vielen Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten berühmt für deeskalierendes Vorgehen. (…) Wenn persönliche Emotionen [in Einsätzen bei Großdemonstrationen] herausbrechen, dann ist das ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten, das durch die Staatsanwaltschaften und Gerichte zur Rechenschaft gezogen wird. Das ist einfach so. (…) Ich bin jetzt seit fast 42 Jahren (…) im Polizeidienst. Einen Korpsgeist in dieser Art und Weise habe ich nie kennengelernt. (…) Aber ein Korpsgeist, dass einer den anderen schützt, damit dieser strafrechtlich nicht verfolgt wird, habe ich in dieser Art und Weise nicht kennengelernt. Weil derjenige, der eine Strafvereitelung nicht anzeigt – das nennt sich dann Strafvereitelung im Amte – der wird zum Teil härter bestraft als derjenige, der tatsächlich, ich sag mal, dem die Hand ausgerutscht ist.“ NRW-Polizei für Deeskalation berühmt, keinerlei Korpsgeist, ausgerutschte Hände … har, har har …

Aus einer heise-Meldung vom 18.6.2020 zur Verabschiedung eines „Gesetzentwurfs zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität“: „‚In der Anonymität des Netzes finden wir ganz oft den Boden für Hass und Hetze‘ und andere Dinge wie ‚Kinderpornografie‘, betonte Jan-Marco Luczak (CDU). Das NetzDG werde auf diese ’schlimmen Dinge‘ angepasst, damit die Täter identifiziert und bestraft werden könnten.“ Wie heißt es doch oft so schön (blöd): Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein. Das gilt doch dann sicher auch andersherum und dementsprechend umformuliert: „In der Anonymität des öffentlichen Raums finden wir ganz oft den Boden für Mord und Totschlag und andere schwere Straftaten. Die Video- und Audioüberwachung des öffentlichen Raums wird auf diese schlimmen Dinge anpassend flächendeckend ausgedehnt, damit die Täter identifiziert und bestraft werden können.“ Hmm …

Aus einem heise-Bericht vom 29.6.2020 zu der Haltung der Auslandsgeheimdienstler Deutschlands zum BND-Gesetz-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts – rund einen Monat danach: Über einen Monat, nachdem das Bundesverfassungsgericht die anlasslose Massenüberwachung des Bundesnachrichtendienstes (BND) und noch weitere einschlägige Praktiken als Verstoß gegen das Grundgesetz wertete, ist der Auslandsgeheimdienst noch mit der Analyse des Urteils beschäftigt. Man sei nach wie vor dabei, den Richterspruch „unter Hochdruck“ auszuwerten und dessen „gesetzgeberische Folgen zu identifizieren“, erklärte BND-Präsident Bruno Kahl bei der jährlichen öffentlichen Anhörung der Chefs der deutschen Nachrichtendienste am Montag im Bundestag. (…) Ein Austausch [von Daten mit den Geheimdiensten anderer Länder] müsse weiterhin möglich sein, der BND dürfe sich angesichts teils zunehmender Bedrohungen von außen „nicht künstlich blind und taub machen“.“ Auch eine mögliche Haltung/Sichtweise, dass die Urteile höchster deutscher Gerichte „künstlich blind und taub machen“ …

Eine Zeit-Meldung vom 4.7.2020: „Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat eine zuvor von der Regierung angekündigte Studie zu rassistischer Diskriminierung durch Polizeibehörden abgesagt. Auf Anfrage von ZEIT ONLINE bestätigte ein Sprecher des Innenministeriums, dass es nach Ansicht des Ressortchefs „keinen Bedarf“ für eine solche Studie gebe. Kommentar unnötig.

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