Innenministerkonferenz plant hinter verschlossenen Türen das Aufbohren der Steuer-ID zur bundesweit einheitlichen Personenkennziffer. (Die meisten) Innenministerien reagieren auf Presseanfragen dazu verschnupft oder gar nicht.

Haltung der Innenministerien zu den Plänen für die Einrichtung einer bundesweiten Personenkennziffer. In der Grafik nicht abgebildet: Die Nicht-Stellungnahme des BMI.

Die Innenminister des Bundes und der Bundesländer haben auf ihrer Innenministerkonferenz (IMK) im November 2018 beschlossen, ein einheitliches Identitätsregister für alle deutschen Staatsbürger einzurichten. Das wurde damals öffentlich nicht thematisiert, geschweige denn kritisch hinterfragt.

Erst nun, nachdem nach Beendigung der letzten IMK von Anfang Dezember 2019 ein vom Bundesinnenministerium (BMI) verfasster „Zwischenbericht“ einer dazu eingerichteten Arbeitsgruppe („Bund-Länder-Arbeitsgruppe Registerübergreifendes Identitätsmanagement – BLAG“) veröffentlicht wurde, regt sich etwas Widerstand, wenn auch noch sehr zaghaft. Der Grund: Die Arbeitsgruppe empfiehlt, die in 2007 eingeführte Steuer-Identifikationsnummer (Steuer-ID) als eineindeutige Kern-Kennziffer (Personenkennziffer, „Identifier“) für den Aufbau des so genannten „Identitätsregisters“ zu verwenden. Das ist genau das, wovor Datenschutzbeauftragte und zivilgesellschaftliche Gruppen damals gewarnt hatten, wobei deren Kritik stets mit dem Argument in den Wind geschlagen wurde, dass so etwas keineswegs beabsichtigt sei und niemals verwirklicht werde.

Nun ist es also doch soweit.

Der Zwischenbericht verweist lustigerweise auf Datensparsamkeit und versucht anhand dieses – bei den Innenmininistern und ihren Polizeien und Geheimdiensten ansonsten gar nicht beliebten – Datenschutzgrundsatzes den Sinn und die Notwendigkeit der Einrichtung eines neuen bundesweiten ID-Registers zu begründen.

Ebenso verweist der Zwischenbericht – zurecht – auf die bisherige Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sowie auf ein Urteil des Bundesfinanzhofes (BFH) aus 2012, das die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Steuer-ID attestiert. Allerdings – und das ist der große Knackpunkt an der selbstgerecht zurechtgebogenen verfassungsrechtlichen Flickschusterei der IMK-Arbeitsgruppe – bleiben diese Bedenken bei der bezeichneten Absicht, die Anwendung der Steuer-ID für die Errichtung des ID-Registers auszudehnen, faktisch auf der Strecke. Ebenso geht das BFH-Urteil von Bedingungen aus, die nach dem Aufbohren der Steuer-ID-Anwendung keine Gültigkeit mehr hätten. Genaueres dazu weiter unten.

Wir haben alle 17 Innenministerien des Bundes und der Bundesländer angeschrieben und um eine Stellungnahme, wie die Ministerien im Einzelnen zu der im Zwischenbericht geäußerten Absicht der Umnutzung der Steuer-ID stehen bzw. welche Meinung sie dazu vertreten. Dazu haben wir den Behörden eine Arbeitswoche lang Zeit gelassen.

Zusammenfassung der Antworten aus den Ministerien:

  • Drei Bundesländer (bzw. deren Innenministerien) finden diese Pläne ausdrücklich gut und unterstützen die Initiative (Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen).
  • Zwei Bundesländer wollen sich eine Prüfung des für Frühjahr 2020 angekündigten Abschlussberichts der Arbeitsgruppe vorbehalten (Berlin, Bremen).
  • Drei Bundesländer haben sich ausdrücklich geweigert, eine eigene Haltung einzunehmen bzw. diese mitzuteilen (Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen-Anhalt).
  • Das Bundesinnenministerium und acht Bundesländer haben auf unsere Presseanfrage bis dato gar nicht geantwortet (Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Thüringen).

Das Gesamtbild dieses Verhaltens der Innenministerien zeichnet ein düsteres Bild von dem ab, was die IMK ausmacht. Viele Ministerien verstecken sich hinter der IMK und entziehen sich damit der demokratischen Kontrolle. Die IMK kann derlei weitreichende Pläne wie in diesem Beitrag behandelt fernab kritischer Öffentlichkeit aushecken und unterliegt keinerlei Kontrollfunktion. Was die IMK von ihren „Kamingesprächen“ und anderen Verhandlungen und Verabredungen den Medien und damit der Öffentlichkeit mitteilt (oder auch nicht), kann sie selber entscheiden. Anfragen über das Informationsfreiheitsgesetz laufen in Sachen IMK aus rechtlich-formellen Gründen regelmäßig ins Leere. Doch wie auch immer und davon mal ganz abgesehen:

Wir halten die im Zwischenbericht skizzierten Vorhaben zur Erstellung eines ID-Registers für verfassungsrechtlich unzulässig.

Zur weiteren Untermauerung dieser Einschätzung und zur weiteren Information über die Pläne der demokratisch zweifelhaft, weil intransparent und nicht-legitimiert arbeitenden IMK rezitieren wir der Einfachheit halber aus unserer Presseanfrage vom 14.12.2019:

Im Rahmen der letzten 211. Innenministerkonferenz wurde der IMK unter TOP 32 („Registerübergreifendes Identitätsmanagement als Teil der Registermodernisierung“) ein vom BMI verfasster Zwischenbericht vorgelegt und veröffentlicht. Darin heißt es u.a.:

„Die eindeutige Identifikation einer Person war und ist ein unverzichtbarer Grundpfeiler staatlichen Handelns. In der zunehmend digitalisierten Welt muss Eindeutigkeit sichergestellt werden, da es andernfalls zu Medienbrüchen (Prozessabbruch oder händisch auszuwertenden Trefferlisten) kommt. (…) Ein gleichbleibender numerischer Identifier kann diese Aufgaben zuverlässiger und datensparsamer erfüllen als der variable Grunddatensatz der Person. Der Identifier soll zumindest für die behördeninterne Kommunikation diese Eindeutigkeit sicherstellen und ermöglichen, dass bei einer Änderung in den Basisdaten einer Person durch die jeweils sachlich zuständige Behörde diese Änderung auch anderen Behörden zur Verfügung gestellt wird. (…) Bei der Einrichtung eines Identifiers verlangen die verfassungs- und datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen – insbesondere das Volkszählungsurteil des BVerfG – besondere Aufmerksamkeit. Der bekannteste der bereits bestehenden Identifier in Deutschland ist die steuerliche Identifikationsnummer (Steuer-ID) nach § 139b der Abgabenordnung (AO).“

Im weiteren Verlauf des Zwischenberichts wird der Aufbau eines „Identitätsregisters“ unter Verwendung der Steuer-ID als „numerischer Identifier“ vorgeschlagen. Zwar wird auch auf datenschutz- und persönlichkeitsrechtliche Aspekte eingegangen:

„Nach der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 65, 1 ff) ist im Hinblick auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht insbesondere darauf zu achten, dass eine Zusammenführung aller mit dem Kennzeichen verbundenen Daten und damit die Herstellung von Persönlichkeitsprofilen („Gesamtbild der Persönlichkeit“) durch organisatorische, technische und rechtliche Maßnahmen wirksam verhindert wird. Ferner ist begründet darzulegen, dass unter Berücksichtigung der verfolgten Ziele der Grundrechtseingriff im Ergebnis verhältnismäßig ist, wobei u.a. die in dem Urteil des BFH vom 18.01.2012 (II R 49/10) zur Steuer-ID genannten Kriterien heranzuziehen sind. Hier nach ist die Eingriffstiefe umso geringer, je weniger der Identifier selbst Persönlichkeitsrelevanz aufweist, Datenerhebungen weder heimlich noch unter gesteigerten Mitwirkungspflichten erfolgen oder besondere Vertraulichkeitserwartungen verletzt werden.“

Trotz dieser Bedenken empfiehlt der Zwischenbericht vorzugsweise die Nutzung der Steuer-ID:

Aus der bisherigen Arbeit der Expertengruppe Registerarchitektur und der BLAG Registerübergreifendes Identitätsmanagement zeichnet sich ab, dass die Steuer-ID als zukünftiger Identifier und die Steuer-ID-Datenbank des BZSt für ein deutlich verbessertes Identitätsmanagement in der Innenverwaltung – und implizit darüber hinaus für weitere Register, die sich wesentlich auf personenbezogene Daten stützen, als geeignet erscheinen. Alternativ wäre, da es um das Identitätsmanagement im Bereich der Register der Innenverwaltung geht, der Aufbau eines eigenen Identitätsregisters in der Innenverwaltung vorstellbar. Auch Lösungen, die eine Aufgabenteilung vorsehen, wie z.B. die Führung des Identitätsregisters beim BZSt im Rahmen einer Organleihe, sind denkbar.“

Grundlegend für eine verfassungsrechtliche Bewertung einer wie im Zwischenbericht erläuterten ID-Register-Struktur mit eineindeutiger ID-Numerik sind neben der erwähnten BFH-Rechtssprechung zur Steuer-ID die Mikronzensus- und Volkszählungs-Urteile des BVerfG. Diese lauten auszugsweise:

Es widerspricht der menschlichen Würde, den Menschen zum bloßen Objekt im Staat zu machen (vgl. BVerfGE 5, 85; 7, 198). Mit der Menschenwürde wäre es nicht zu vereinbaren, wenn der Staat das Recht für sich in Anspruch nehmen könnte, den Menschen zwangsweise in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren, sei es auch in der Anonymität einer statistischen Erhebung, und ihn damit wie eine Sache zu behandeln, die einer Bestandsaufnahme in jeder Beziehung zugänglich ist.“

(Mikrozensus-Urteil vom 16.7.1969, 1 BvL 19/63, Randnummer 33)

Sowie:

„Das Erhebungsprogramm vermag zwar einzelne Lebensbereiche, zum Beispiel den Wohnbereich des Bürgers, jedoch nicht dessen Persönlichkeit abzubilden. Etwas anderes würde nur gelten, soweit eine unbeschränkte Verknüpfung der erhobenen Daten mit den bei den Verwaltungsbehörden vorhandenen, zum Teil sehr sensitiven Datenbeständen oder gar die Erschließung eines derartigen Datenverbundes durch ein einheitliches Personenkennzeichen oder sonstiges Ordnungsmerkmal möglich wäre; denn eine umfassende Registrierung und Katalogisierung der Persönlichkeit durch die Zusammenführung einzelner Lebensdaten und Personaldaten zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen der Bürger ist auch in der Anonymität statistischer Erhebungen unzulässig. (…) Auch die Übernahme sämtlicher Daten aus bereits vorhandenen Dateien der Verwaltung ist keine zulässige Alternative zu der vorgesehenen Totalzählung. Denn die Nutzung von Daten aus verschiedenen Registern und Dateien würde voraussetzen, daß technische, organisatorische und rechtliche Maßnahmen getroffen werden, die es erst erlauben, diese Daten, bezogen auf bestimmte Personen oder Institutionen, zusammenzuführen. Eine solche Maßnahme wäre zum Beispiel die Einführung eines einheitlichen, für alle Register und Dateien geltenden Personenkennzeichens oder dessen Substituts. Dies wäre aber gerade ein entscheidender Schritt, den einzelnen Bürger in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren. Die Verknüpfung vorhandener Dateien wäre danach auch nicht das mildere Mittel.“

(Volkszählungsurteil vom 15.12.1983, BVerfGE 65,1, Randnummern 177 und 191)

Selbst unter Berücksichtigung der im Zwischenbericht vorgebrachten Gesichtspunkte und Argumente halten wir die dort skizzierte Konzeption eines ID-Registers für verfassungsrechtlich unzulässig.

Dafür spricht auch die genauere Betrachtung des genannten BFH-Urteils (vom 18.01.2012 – II R 49/10), dort insbesondere die Randnummern 50ff. und 65ff. Dort geht es darum, dass die DRV als zentrale Stelle in Funktion einer dem Steuergeheimnis verpflichteten Finanzbehörde für die Verwendung Steuer-ID gelte und die Verwendung der Steuer-ID behördlich beschränkt sei. Beides würde durch die im Zwischenbericht beschriebene ID-Register-Bildung verworfen werden.

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