Auch wenn man der hannoverschen Polizei und Versammlungsbehörde nicht unbedingt eine liberale Praxis im Umgang mit der Versammlungsfreiheit attestieren mag – in einer neuen Entscheidung präsentiert sich die Polizeidirektion Hannover als bundesweiten Vorreiter in Sachen praktischen Schutzes der Versammlungs- und Meinungsfreiheit, denn:
Ab sofort verhüllt die Polizei Hannover jede ihrer Domkameras, an der eine angemeldete Demonstration vorbeiläuft!
Das ist aufwendig und teuer, aber zugleich nötig und wichtig, um den Demonstrationsteilnehmern zu signalisieren, dass Sie bei der Ausübung ihrer Versammlungs- und Meinungsfreiheit nicht von den Polizeikameras gefilmt und aufgezeichnet werden. Dass das rechtlich geboten ist, haben die Gerichte Deutschlands in vielfachen Verfahren einmütig manifestiert.
Jahrelang hat sich die Polizei dieser Notwendigkeit verweigert: Auf Forderungen der ehemaligen hannoverschen Ortsgruppe des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung („AK Vorrat Hannover„) – einem der Ausgangspunkte des freiheitsfoos – hatte die Polizei Hannover am 10.5.2010 immerhin damit begonnen, alle Polizeikameras zur Überwachung des öffentlichen Raums immer dann grundsätzlich wegzuschwenken, wenn eine zuvor angekündigte Demonstration durch den Erfassungsbereich der Kameras läuft:
Auch dahingehend hat die Polizei Hannover damals einen Meilenstein gesetzt und war bundesweit die erste Behörde, die derart zum Schutz der Demonstrationsfreiheit beigetragen hat.
Seit dieser Verhaltensänderung hat sich in Hannover einiges getan.
Aufgrund eines Gerichtsverfahrens betreibt die Polizei in der Landeshauptstadt derzeit nur noch 23 von ehemals 79 Überwachungskameras. Alle anderen waren entsprechend der richterlichen Auffassung nicht mit geltendem Recht zu vereinbaren und wurden deswegen – folgerichtig – entweder abgebaut oder an die Landesverkehrsbehörde Niedersachsen verkauft abgegeben. Sieben weitere Kameras werden derzeit „nur“ noch temporär im Zuge von Großveranstaltungen betrieben und genutzt.
(Randnotiz: Das Verfahren zu dem allen schwelt derweil immer noch vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg und wird auf Grundlage der neuen Regeln des frisch „reformierten“ Polizeigesetzes für Niedersachsen – NPOG – bald weiter verhandelt.)
Was inzwischen aber auch noch passiert ist: Die Polizei hat in einem öffentlichkeitsscheuem Vorgang einige ihrer bislang schwenkbaren Kameras aus nicht nachvollziehbaren Gründen (siehe dazu hier die Frage und Antwort Nr. 3) gegen Domkameras ausgetauscht. Bei den Domkameras ist von außen nicht ersichtlich, wohin diese ausgerichtet sind … und deswegen müssen diese Domkameras nun bei jeder Demonstration, die deren Erfassungsbereich kreuzt aufwendig abgedeckt bzw. verhüllt werden: Die Polizei beauftragt dazu eine Unternehmen, das vor der Demonstration mit einer Hebebühne einen Müllsack über die Kameras stülpt und befestigt und in einem zweiten Arbeitsvorgang erneut mit Hebebühne anrückt, um die Mülltüte wieder zu entfernen.
Bild-Beispiele für die polizeieigene Verhüllung ihrer Kameras finden sich auf unserer Wikiseite zu diesem Themenkomplex.
Die Polizeidirektion Hannover hat die Verhüllung zunächst eher widerwillig vorgenommen und dann auch nur in den (bislang vier dokumentierten) Fällen, in dem ein potentieller Demoteilnehmer im Vorfeld der Versammlung auf seine Teilnahme hingewiesen und zur Verhüllung der Domkameras aufgefordert hatte.
Erst auf mehrfache explizite Nachfrage mit dem Hinweis auf die Tatsache, dass es doch nicht hinzunehmen sei, dass ein Einzelner in jedem Fall zunächst der Polizei rechtzeitig im Vorfeld ankündigen/melden muss, dass er an einer bestimmten Demonstration teilzunehmen beabsichtigt um zu bewirken, dass die Domkameras dann vertütet werden, also erst auf mehrfaches Nachhaken hat sich die Behörde nun zu dem hier veröffentlichten Entschluss durchringen können. Und doch: Immerhin!
Unklar ist derzeit noch, seit wann die Polizei aufgrund der im Raum stehenden Drohung eines gerichtlichen Verfahrens damit begonnen hat, bei jeder „fristgerecht angezeigten“ Demonstration Mülltüten über ihre Domkameras zu stülpen und – vor allem – was das den Steuerzahler jeweils und insgesamt kostet.
Dass die Polizei in ihrer Mitteilung noch davon spricht, dass sie „derzeit“ diese Praxis ausübt zeigt, dass sich die Polizeidirektion verbal-formell noch ein Hintertürchen offen lässt, einen Rückzieher von ihrer derzeitigen Haltung also nicht ausdrücklich ausschließt. Dann würde sie sich allerdings einem gerichtlichen Verfahren ausgesetzt sehen, dessen Ausgang bundesweit iudikativen Präzedenzcharakter haben dürfte. Genau das scheint die Polizei Hannover „derzeit“ zu scheuen …