Am 3.10.2018 fand in Berlin ein Aufmarsch von Rechten statt, der mit einer Gegendemonstration beantwortet worden ist. Wie dem Bericht des Journalisten Sören Kohluber zu entnehmen und von diesem dokumentiert worden ist wurde in diesem Zusammenhang nicht nur (erstmals bei einer Demonstration?) die neue paramilitärisch ausgebildete und hochgerüstete „BFE+“-Polizeieinheit eingesetzt sondern auch ein von der niedersächsischen Zentralen Polizeidirektion ausgeliehender Panzerwagen (Polizei-Neusprech: „Sonderwagen 4“) mit aufmontiertem Maschinengewehr G8 von Heckler&Koch einer der Versammlungen als Begleitfahrzeug zugeteilt.
Das niedersächsische Innenministerium gibt sich auf Nachfragen dazu nüchtern und knapp, meint aber, dass das G8 gar kein Maschinengewehr sei, gibt dagegen immerhin zu, dass so ein Einsatz „in der Regel unzulässig sei.“ Weitere Details bleiben unter Verschluss.
Im Detail:
Der Berliner Senat bestätigte die Fakten zum Einsatz von Polizeipanzerwagen und Maschinengewehr in Berlin in Beantwortung einer schriftlichen Anfrage am 26.10.2018:
Ja, es handele sich um ein schussbereites Sturmgewehr auf dem „Sonderwagen“. Das G8 war mit einem Stabmagazin ausgerüstet.
Allerdings versucht sich der Berliner Senat auch wie folgt zu rechtfertigen:
Der Sonderwagen wurde durch die einsatzführende Direktion Einsatz der Polizei Berlin zum Schutz der Protokollveranstaltung und des Bürgerfestes anlässlich des Tags der Deutschen Einheit 2018 eingesetzt.Dieser wurde im Rahmen der Protokollveranstaltungen im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit aufgrund der Gefährdungslage zum Schutz der Veranstaltungen eingesetzt. Im Rahmen einer Kräfteumgliederung wechselte er in das Unterstellungsverhältnis der für die Versammlung „Tag der Nation 2018“ und den Gegenprotest zuständigen Organisationseinheit und fuhr dort an der Spitze des Aufzugs der Veranstaltenden von „Wir für Deutschland e.V.“. Das Fahrzeug wurde nach Bekanntwerden des Ausrüstungszustands auf Weisung des Polizeiführers aufgrund der Außenwirkung aus dem Auftrag entlassen.
Unabhängig davon, ob man dieser Geschichte einer „Kräfteumgliederung“ und der plötzlichen Bewusstseinsentwicklung der Polizei (vermutlich eher ausgelöst durch einen Tweet von Sören Kohlhuber) Glauben schenken mag oder nicht:
Dass ein mit einem gut sichtbar montierten Maschinengewehr ausgerüsteter Polizeipanzerwagen einer Demonstration an die Spitze vorausfahrend eingesetzt wird ist ein neuer Negativ-Meilenstein in der Geschichte der Militarisierung der Polizei, vor allem aber der schweren polizeilichen Missachtung des Versammlungsgrundrechts, begründet in der einschüchternden Wirkung dieser Maschinengewehr-Geste.
Diese Tendenz ist leider nicht neu: Im zunehmenden Maße nimmt es sich die Polizei bei kritischen Demonstrationen heraus, diese mit einem massiven Aufgebot an (oft schwer schutz-ausgerüsteten und vermummten) Polizeibeamten und technischem Gerät (Polizeifahrzeuge, Kamerawagen, Wasserwerfer, Schützenpanzer etc.) zu „begleiten“. Teilweise müssen die Versammlungsteilnehmer beidseitig eingekesselt von Polizeiketten ihre Versammlung durchführen, was das Gebot der Versammlungsfreiheit, speziell der im Brokdorf-Beschluss vom 14. Mai 1985 festgeschriebenen Staatsferne der Demonstration missachtet:
(…) An diese Erwägungen knüpft das spätere Urteil zur Parteienfinanzierung an und betont, in einer Demokratie müsse die Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen und nicht umgekehrt verlaufen; das Recht des Bürgers auf Teilhabe an der politischen Willensbildung äußere sich nicht nur in der Stimmabgabe bei Wahlen, sondern auch in der Einflußnahme auf den ständigen Prozeß der politischen Meinungsbildung, die sich in einem demokratischen Staatswesen frei, offen, unreglementiert und grundsätzlich „staatsfrei“ vollziehen müsse.
(Aus der Randnummer 65 des Brokdorf-Beschlusses.)
Wir haben das Niedersächsische Innenministerium mit einigen Fragen zu diesem kritikwürdigem Einsatz des SW4-Panzerwagens konfrontiert. Das Ministerium informiert uns dabei wie folgt:
- Das G8-Gewehr von Heckler&Koch sei ein Gewehr und kein Maschinengewehr.
- Das G8-Maschinengewehr ist „nicht automatisch fernsteuerbar“. (Was immer das im Detail bedeuten mag …)
- Der „Sonderwagen 4“ ist bereits öfters an Berlin ausgeliehen worden („unter anderem“ bei Staatsbesuchen) und wird von niedersächsischen Polizeibeamten gesteuert und „geführt“.
- Die eingesetzten niedersächsischen Polizeibeamten sind auch mit dem im Berlin geltenden Versammlungsgesetz vertraut gewesen bzw. darin eingeführt worden.
- In Niedersachsen sei dieser Polizeipanzerwagen angeblich noch nie zusammen mit dem G8-Maschinengewehr eingesetzt worden, er wurde allerdings im Zusammenhang mit dem am 17.11.2015 kurzfristig abgesagten Fußball-Länderspiel in Hannover einmal „bereitgehalten“.
- Den Einsatz des Fahrzeugs inklusive Maschinengewehr im Zuge von Demonstrationen in Niedersachsen hält das Innenministerium für „in der Regel unzulässig.“
- Die Ermächtigungsgrundlage für den Einsatz des Maschinengewehres am Schützenpanzer ist als Verschlusssache deklariert und wird insofern geheim gehalten.
Ob das Ministerium in Hannover darüber nachdenkt, neuartige Polizeipanzerwagen des Typs „Survivor R“ anzuschaffen und ob des dazu bereits Gespräche mit dem (in Niedersachsen ansässigen) Rheinmetall-Konzern gegeben hat, das möchte man uns lieber nicht konkret beantworten.
Das Niedersächsische Innenministerium geht weiterhin nicht auf die Frage ein, wie viele und welche Fahrzeuge (oder andere technische Mittel und Personal) das Land Niedersachsen für den 3.10.2018 an Berlin ausgeliehen hat und wie viel Geld es dafür bekommen hat. Erst lässt uns das Ministerium wissen, dass Informationen dazu dort nicht vorlägen, auf weitere Nachfrage heißt es dann, es handele sich um Informationen, die als „Verschlusssache“ deklariert worden seien. Das kommt uns merkwürdig vor.
Das Innenministerium schiebt die Verantwortung des unzulässigen Einsatz seines Polizeipanzerwagens auf die Berliner Polizei. Offensichtlich dürfen oder sollen die niedersächsischen Polizisten, die diesen Panzer gefahren haben wider besseren Wissens nicht selber einschreiten und Befehlsverweigerung praktizieren, auch wenn die Berliner Einsatzleitung deren Fahrzeug rechtswidrig einsetzt.
Und der Mär, dass die G8-Waffe ein Gewehr, aber kein Maschinengewehr sei, setzt der Waffentechnologie-Experte von amnesty international, Dr. Mathias John ein klares Ende. Auf unsere Anfrage hin teilt dieser mit:
Ein G8 ist von der Konstruktion her ein leichtes Maschinengewehr, daran ändert auch der kreative Versuch nichts, dieses durch semantische Spitzfindigkeiten verharmlosend in „Gewehr“ umzudeklarieren. Allenfalls mit umfassenden technischen Einschränkungen könnten diese Waffen zu „Gewehren“ gemacht werden, darüber ist aber nichts bekannt. (…)