Zeitzeichen, 10

victor-klemperer-cc-by-sa-bundesarchiv_bild_183-s90733-mod-freiheitsfooIn unserer Kategorie „Zeitzeichen“ rezitieren wir in unregelmäßigen Abständen und in ebenso unregelmäßigem Umfang Nachrichtenschnipsel oder Zitate, die wir als möglicherweise stellvertretende Beispiele für größere Entwicklungen und gesellschaftliche Symptome empfinden: als Zeitzeichen.

Wir behalten uns vor, dieses oder jenes kurz zu kommentieren oder zu bewerten, oder auch nicht. :)

 

Polizeiliche „agent provocateure“ als Auslöser von Polizeigewalt beim G20-Gipfel – aus einem taz-Bericht vom 18.5.2018: „Stimmt es, ist es ein Skandal: Sächsische Zivilpolizist*innen sollen undercover bei der G20-“Welcome to Hell“-Demonstration gewesen sein – vermummt im schwarzen Block. Die autonome Großdemonstration am Vorabend des G20-Gipfels in Hamburg war von der Polizei am Losgehen gehindert und auseinander geschlagen worden, weil Teilnehmer*innen der Demo vermummt gewesen waren.“ Wie war das noch neulich bei den letzten Zeitzeichen? „Die Hamburger Polizeiführung hat ihre Haltung zu Demonstrationen während des G20-Gipfels im vergangenen Sommer als kooperativ bezeichnet.“ Selbstherrliche, behördliche Scheinheiligekeit pur, falls sich der (für manche nicht überraschend kommende) Verdacht erhärtet.

Ein „CD“U-Newcomer, der seit seinem 14. Lebensjahr mit der Partei verhaftet ist, fordert die Abschaffung des freiheitlichen Lebens im öffentlichen Raum. Aus einer DLF-Kurznachricht vom 22.5.2018: „Der Chef der Jungen Union, Ziemiak, hat sich nach dem Aufmarsch von Linksextremisten vor dem Wohnhaus eines Polizisten für die Ausweitung des Vermummungsverbots ausgesprochen. Es dürfe nicht nur für Versammlungen gelten, sondern müsse im gesamten öffentlichen Raum Anwendung finden, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Nur so lasse sich dem von Demokratiefeinden betriebenen Versuch der Einschüchterung, Bedrohung und Gefährdung entgegentreten. Der JU-Chef führte aus, wer Polizeibeamte bedrohe, der missachte Recht, Ordnung und das staatliche Gewaltmonopol, also all das, was den Staat und die Gesellschaft zusammenhalte.“ Herr Ziemiak weiß offenbar gar nicht, dass das Vermummungsverbot gar nicht allgemein bei Demonstrationen gilt, sondern nur, wenn von diesen Straftaten ausgehen. Und selbst diese Regelung ist umstritten und nicht in allen Bundesländern so gültig.

Der CDU-Politiker Armin Laschet beweist sich als Dinosaurier des Denkens, Verstehens und Handelns, der alle anderen Lebewesen dieses Planeten mit ins Verderben reisst. Und als jemand, der es nicht gelernt hat, über die Grenzen der Legislaturperiode hinaus zu denken und verantwortlich zu handeln. Aus einer DLF-Kurznachricht vom 31.5.2018: „Ein Ausstieg aus der Kohleverstromung kann nach Darstellung des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Laschet nicht schon bis 2030 erreicht werden. Es sei ausgeschlossen, den Energiebedarf der stromintensiven Betriebe bis dahin durch Wind und Sonne zu decken, sagte der CDU-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. (…) Möglich sei aber vielleicht ein Ausstieg noch vor 2045. Damit bezog sich Laschet auf die Laufzeit der Abbaugenehmigung für den Braunkohletagebau Garzweiler II, die noch von der rot-grünen Vorgängerregierung erteilt worden war. Klimaschutzziele und Energiesicherheit müssten parallel gewährleistet sein.“

Kurzer Einwurf des beliebten Polizei-Populisten Rainer Wendt, zitiert aus einem NDR-Bericht vom 15.6.2018: „Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, sagte, die Kennzeichnung [von Polizeibeamten im Dienst] sei ‚zwecktauglich‘, aber unverhältnismäßig, weil unnötig. ‚Beamte halten sich grundsätzlich an Vorschriften.'“ Und die Erde ist eine Scheibe.

Böse Banalität par excellence – aus einer DLF-Kurznachricht vom 19.6.2018: „US-Heimatschutzministerin Nielsen führte bei einer Ansprache in New Orleans aus, die amerikanische Regierung werde sich nicht für die Arbeit entschuldigen, die sie verrichte, und die das amerikanische Volk von ihr erwarte. Sie habe keine Kenntnis von Tonaufnahmen, die das Weinen von Kindern, die von ihren Eltern getrennt wurden, wiedergäben. Journalisten hatten die Aufnahmen von einer Anwältin für Menschenrechte erhalten. Inzwischen hat das US-Heimatschutzministerium genaue Zahlen genannt: Demnach wurden zwischen Anfang Mai und Anfang Juni mehr als 2.300 Kinder von ihren Eltern beim Grenzübertritt getrennt. Betroffen sind damit im Durchschnitt mehr als 66 Kinder pro Tag. Videomitschnitte zeigen Migrantenkinder in Drahtkäfigen, die auf Betonböden sitzen.“

Zum Grad der Menschenverachtung, die aus dem folgenden DLF-Kurzbeitrag vom 26.6.2018 spricht, bedarf es keines erläuternden Kommentars: „Österreichische Grenze – Übung zur Abwehr von Flüchtlingen: An der Grenze zu Slowenien hat eine Übung österreichischer Polizisten und Soldaten zur Abwehr von Flüchtlingen begonnen. Innenminister Kickl sagte in Spielfeld, ein Staat, der seine Grenzen nicht effektiv schützen könne, verliere seine Glaubwürdigkeit. Vizekanzler Strache hatte zuvor erklärt, man wolle ein klares Signal setzen, dass es ein Durchwinken wie 2015 nicht mehr geben werde. Zudem begründete er die Übung, an der 500 Polizisten und 200 Soldaten teilnehmen, mit dem Asylstreit in Deutschland.“

Es ist der 12. Juli 2018 – die Evangelische Kirche Deutschland fordert empathische Abschiebungen: „Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bedford-Strohm, hat von der Politik mehr Empathie bei der Abschiebung von Flüchtlingen gefordert.“ Was für eine Begriff-Schöpfungsgeschichte …

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