Nachdem die vorherige rot-grüne Landesregierung Niedersachsens aus eigentümlichen Gründen vorzeitig die Stimmenmehrheit im Landtag verlor und deswegen ihr (nicht unumstrittenes) neues Polizeigesetz nicht installieren konnte, plant die neue rot-schwarze Niedersachsen-GroKo im Sauseschritt ihr eigenes neues Polizeigesetz.
Wie üblich (unabhängig von den regierungsbeteiligten Parteien) passiert das in Niedersachsen ohne Öffentlichkeit und ohne kritische Debatte hinter verschlossenen Türen, im Geheimen. Wer beispielsweise in der beispiellos unübersichtlichen wie bediener-unfreundlichen Homepage des Landtags nach Informationen zum Stand der Dinge sucht, der findet genau Null Verweise zum Vorgang.
Wir veröffentlichen hiermit den aktuellen Stand des SPD-CDU-Polizeigesetz-Entwurfs („NPOG – Niedersächsisches Polizeigesetz“) in Form einer übersichtlichen Synopse dem bestehenden „Niedersächsisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (NdsSOG)“ gegenübergestellt.
Der Entwurf datiert vom 19.1.2018 und ist – soweit uns bekannt – der aktuelle und vermutlich mehr oder weniger endgültige Entwurf dieses Gesetzes, zu dem derzeit (ebenfalls intransparent und ohne Aufklärung der Öffentlichkeit) nur noch die Stellungnahmen der Polizei-Lobby-Gruppen eingeholt werden, bevor der Entwurf in die Landtags-Öffentlichkeit getragen wird, um dann im Innenausschuss behandelt zu werden.
Unserer Erfahrung nach handelt es sich dann allerdings im wesentlichen nur noch um eine Scheindiskussion, deren Ausgang von vornherein klar ist. Zumindest wurden in anderen vergleichbaren Fällen die im Zusammenhang einer Innenausschuss-Anhörung zu einem Gesetzentwurf eingeholten Stellungnahmen (wie alles andere werden auch diese vom Parlament unter Verschluss gehalten und der Öffentlichkeit vorenthalten!) im Falle von kritischen Inhalten weitgehend ignoriert – es handelt sich bei dem Schauspiel also um einen praktisch als scheindemokratisch zu bezeichnenden Vorgang.
Das künftige Gesetz wurde von CDU und SPD durchaus zutreffend auf den Namen „Niedersächsisches Polizeigesetz“ getauft, dient es doch vor allem der Ausweitung polizeilicher Befugnisse ins Abstrakte und öffnet ihrer mutmassenden Verdachtsschöpfung Tür und Tor, während der vorherige rot-grüne Entwurf immerhin noch den formellen Anspruch gehabt hat, ein Gefahrenabwehrgesetz zu sein – der „inhaltlich entbehrliche Rechtsbegriff“ der „öffentlichen Ordnung“ sollte ganz gestrichen werden.
Man konnte mit dem alten rot-grünen Entwurf unter Ausblendung anderer Details also sogar einige wenige positive Tendenzen abgewinnen: So sollten etwa unter dem Stichwort „Racial Profiling“ die Strukturen polizeilicher Verdachtschöpfung verändert werden, in dem die Befugnisse zur verdachtsfreien Kontrolle weitestgehend beschränkt und vor allem der individuellen Entscheidung einzelner PolizistInnen entzogen werden.
Doch schon unter Rot-Grün wurde dieses laut Koalitionsvertrag explizit als zentral ausgewiesene Politikvorhaben von der Polizeiadministration und den Polizeigewerkschaften so lange verschleppt und sturmreif geschossen, bis vom Stärken der Bürgerrechte am Ende nicht mehr viel übrig geblieben war. Der zuletzt diskutierte (und nicht mehr umgesetzte) Entwurf dehnte die Befugnisse der Polizei weit aus und veränderte den Rechtscharakter des Gesetzes sogar grundlegend hin zu einem Tatbestandsrecht. Das Gesetz regelte nämlich plötzlich nicht mehr nur polizeiliche Befugnisse zur Gefahrenabwehr, sondern schuf die Voraussetzung, deren Durchsetzung über Zwang und Gewaltanwendung hinaus auch noch mit empfindlichen Geldbußen zu verfolgen.
Das damit zwischenzeitlich eingetretene Desaster im ursprünglichen rot-grünen Politikvorhaben treibt nun die Niedersachsen-GroKo auf die Spitze: Das neue Polizeigesetz wird künftig etwa Verstöße gegen Meldauflagen der Polizei sogar als Straftaten verfolgbar machen. Und dabei werden die Möglichkeiten der Polizei zum „Predictive Policing“ in Form vorbeugender Freiheitsbeschränkungen oder so genannter Gefährderansprachen faktisch enorm ausgeweitet.
Künftig werden etwa auf so genannte Lagebilder gestützte Mutmaßungen der Polizei für weitreichende Grundrechtseingriffe ausreichen. Die Eingriffsschwelle formuliert der NPOG-Entwurf wie folgt:
„Rechtfertigen bestimmte Tatsachen die Annahme, dass eine Person innerhalb eines übersehbaren Zeitraums auf eine zumindest ihrer Art nach konkretisierte Weise eine Straftat begehen wird, …“
Schwammiger kann man der Polizei weitreichende Befugnisse wohl kaum mehr zugestehen. Polizeiarbeit soll offenbar immer weniger im Konkreten und immer mehr im Abstrakten rühren. Der Fokus möglicher Sanktionen verschiebt sich von wirklichen Vorfällen auf pure Möglichkeiten.
Mögen die seit Jahren ständig wiederholten und manches mal verunglückten Vergleichsversuche mit George Orwells dystopischen Roman „1984“ auch nerven und an Kraft verloren haben: Die in diesem Roman geschilderte „Gedankenpolizei“, mit der Verfolgung und Unterdrückung von Menschen beschäftigt, die „Gedankenverbrechen“ begehen, würde mit dem neuen Polizeigesetz für Niedersachsen ein Stück mehr zur Realität.
Widerstand gegen diese Entwicklungen tut Not.
Der Gesetzentwurf enthält zahlreiche weitere bedenkliche Inhalte, die im Ansatz bereits im Koalitionsvertrag aus dem November 2017 angeklungen sind (siehe auch die Zusammentragung weiterer Extrakte aus dem Koalitionsvertrag).
Erinnert (und ebenfalls an dystopische Romanvorlagen erinnernd) sei abschließend lediglich der irre Passus aus dem „Grundsatz-Kapitel Inneres“ des rot-schwarzen Koalitionsvertrags (S. 35) zitiert:
„Alle Menschen müssen sich zu jeder Zeit an jedem Ort sicher fühlen.“
Dieser totalitäre Anspruch ist selbstkommentierend und bezeichnet die Denke und das Lebensgefühl der für diesen Passus Verantwortlichen vortrefflich.