In Niedersachsen, nahe bei Hannover, wartet derzeit das Pilotprojekt zur erweitertern Geschwindigkeitskontrolle von PKW’s und LKW’s auf den Startschuss. Zur Inbetriebnahme der als „Abschnittskontrolle“, „Sektionskontrolle“, „Section Control“ oder auch als „Streckenradar“ angekündigten Musteranlage bedarf es derzeit neben eines verkehrsrechtlichen Prüfvorgangs auch noch der Freigabe durch die Landesdatenschutzbehörde Niedersachsens, die kürzlich erst mit einer neuen Datenschutzbeauftragten aus den Reihen der CDU besetzt worden ist.
In Rücksprache mit dem schleswig-holsteinischen Landtagsabgeordneten Patrick Breyer veröffentlichen wir dessen Brief an die niedersächsische Landesdatenschutzbeauftragte Frau Barbara Thiel und unterstützen die vorgebrachte Kritik an dem geplanten Pilotprojekt der „Abschnittskontrolle“ als Überwachungsmaßnahme zur Ermittlung von zu schnell fahrenden Autofahrern ausdrücklich:
Wir sehen in diesem Pilotprojekt einen weiteren Schritt im Ausbau einer Überwachungs-Infrastruktur, die durch die absehbare breitere Anwendung ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einer vollständig registrierten Erfassung der Bewegungen von Menschen ist.
Das Ziel dieses teuren Pilotprojekts, für mehr Sicherheit im Straßenverkehr zu sorgen, ließe sich mit anderen Mitteln billiger und ohne unnötigen oder unverhältnismäßigen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung erreichen.
Frau Thiel fordern wir als niedersächsische Landesdatenschutzbeauftragte dazu auf, diesem Pilotprojekt und damit allen weiteren folgenden Anlagen dieser Art keinen datenschutzrechtlichen Freibrief zu erteilen.
Wir verlangen einen konsequenten Einsatz für das für eine freiheitliche Gesellschaft notwendige Recht, sich zunächst einmal grundsätzlich überwachungsfrei – also anonym – im öffentlichen Raum bewegen zu können und zu dürfen.
Nachfolgend der Wortlaut des Schreibens von Patrick Breyer an Frau Thiel:
Sehr geehrte Frau Thiel,
ich bitte Sie, dem Testlauf der umstrittenen Section Control-Technologie die Genehmigung zu versagen.
Das Vorhaben ist schon mangels rechtlicher Grundlage unzulässig. In der fotografischen Erfassung von Fahrzeugen liegt ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Selbst wenn im nächsten Schritt eine Pseudonymisierung („Verpixelung“) vorgenommen wird, bleibt der Personenbezug erhalten, weil am Ende des Abschnitts durch eine erneute Aufnahme das Fahrzeug eindeutig identifiziert werden kann. Die zu Beginn des Kontrollabschnitts vorgenommene Aufnahme des Fahrzeughecks und die daraus generierte eindeutige Pixelwolke/Fahrzeug-ID stellt ein personenbezogenes Datum dar. Der betroffene Halter ist dadurch bestimmbar, dass am Ende des Kontrollabschnitts mit einer weiteren Aufnahme und ggf. einem Frontfoto eine eindeutige Identifizierung möglich ist.
Die Eingriffsqualität und der Mangel an einer rechtlichen Grundlage für den Einsatz von „Section Control“ ist mehrfach hervorgehoben worden:
– Verkehrsgerichtstag 2009
– Albrecht, SVR 2009, 161
– Arzt/Eier, NZV 2010, 113
Auch das Unabhängige Landeszentrum für den Datenschutz in Schleswig-Holstein vertritt diese Auffassung.Ich kann verstehen, dass Sie wegen der Rechtsmeinung Ihres Amtsvorgängers in einer schwierigen Situation sind. Dennoch sind Sie daran nicht gebunden und müssen sich eine eigene Meinung bilden. Bitte stimmen Sie sich im Kreis Ihrer Kollegen aus den anderen Bundesländern ab, bevor Sie eine abweichende Auffassung in Erwägung ziehen. In Betracht kommt auch die Einholung eines externen Rechtsgutachtens.
Nur am Rande darf ich darauf hinweisen, dass der beabsichtigte Pilotversuch von vornherein nicht geeignet ist, zu überprüfen, ob „Abschnittskontrollen“ Vorteile gegenüber (beschilderten) herkömmlichen stationären Messgeräten haben. Denn auf der Teststrecke sind meines Wissens bisher keine (beschilderten) herkömmlichen stationären Messgeräte im Einsatz gewesen. Dass Section Control besser wirkt als keinerlei Kontrollen, ist unstreitig; wegen des damit verbundenen massiven Eingriffs in Grundrechte Unschuldiger und der verfügbaren Alternativen genügt dies aber nicht.
Zu alledem darf ich auf unseren Antrag „Kein Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger durch ‚Section Control‘ auf unseren Straßen“ hinweisen:
http://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl18/drucks/2600/drucksache-18-2694.pdfMit freundlichem Gruß
Dr. Patrick Breyer, MdL
Weitere Informationen über sowie eine fotografische Bestandsaufnahme zum Pilotprojekt gibt es auf der dazugehörigen Seite im freiheitsfoo-Wiki.