Erfolg vor Gericht: Polizeiliches Verbot der Benutzung eines Megaphons auf einer Demo war rechtswidrig

– Verfahren offenbart den Umfang polizeilicher Beobachtung, Bewertung und Speicherung politischer Demonstrationen –

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Ein in der niedersächsischen Landeshauptstadt von der dortigen Polizeidirektion Hannover häufig erteiltes Megaphonverbot für kleine Demonstrationen in der Innenstadt wurde vom Verwaltungsgericht Hannover nun in einem konkret untersuchten Einzelfall als rechtswidrig verurteilt.

Darüber hinaus wirft eine Akteneinsicht in dieses Verfahren viele Fragen an die Polizei in Niedersachsen, denn offenbar wird, in welchem Umfang die Behörde selbst kleine Demonstrationen zu „überwachen“ scheint (Original-Wortwahl aus den Polizei-Dokumenten!) und eigene „Reports“ und „Verlaufsberichte“ an eine Vielzahl von Polizeistellen weiterverteilt.

 

Doch zunächst zum Gerichtsurteil bzw. genauer gesagt, zur Entscheidung des Gerichts:

Die Richterin des Gerichts erläuterte dem anwesenden Polizeijuristen die eindeutige Rechtslage und legte ihm nahe, die Rechtswiddrigkeit des Megaphonverbots doch selber einzusehen und einzuräumen. Und so musste die Polizei Hannover ganz offensichtlich eher weniger als mehr freiwillig ihre unzulässige Beschränkung und Beschneidung des Versammlungs-Grundrechts bei einer Demonstration gegen die Vorratsdatenspeicherung im Oktober 2012 zugeben.

Der die Polizeidirektion Hannover vertretende Oberregierungsrat erklärte vor Gericht,

  • das von ihr erteilte Megaphonverbot war rechtswidrig,
  • man werde in Zukunft – offenbar anders als in diesem Fall – vor der Erteilung eines solchen Megaphonverbots in jedem Einzelfall prüfen, ob so ein Verbot den vom Verwaltungsgericht Hannover in 2006 augestellten engen Grenzen gerecht werde,
  • dass die Polizeidirektion Hannover sämtliche Verfahrenskosten übernimmt.

Daraufhin erklärte der sich selber verteidigende Kläger diesen Fall für erledigt, weil aus juristischer Sicht kein weitergehender Erfolg mehr möglich war.

Ohne diesen Erfolg der Zurechtrückung polizeilicher, pauschaler und damit willkürlicher und unrechtmäßiger Herabsetzung des Demonstrations-Grundrechts schmälern zu wollen, bleibt skeptisch abzuwarten, ob und nach welcher Praxis die Polizei Hannover zukünftig Megaphonverbote austeilen wird und ob das Urteil schlimmstenfalls nicht dazu führt, dass die Versammlungsbehörde weitere Textbausteine für mehr oder minder pauschale Demonstrationsauflagen erstellen und verfügen wird.

Der Kläger kündigte vor Gericht an, diese polizeiliche Praxis im Blick zu behalten und selbst dann Klage einlegen zu wollen, wenn er auch „nur“ als Demonstrationsteilnehmer zu Unrecht in seinem Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung beschnitten werden würde. Man wird sehen.

Nicht unerwähnt soll bleiben, dass die Polizei im Vorlauf dieses Gerichtsprozesses versucht hatte, die Klage insgesamt mit der Begründung aus den Angeln zu heben, dass doch gar kein „Fortsetzungsfeststellungsinteresse“ bestehe. Mit anderen Worten ausgedrückt: Dass es doch eigentlich egal sei, ob das Megaphonverbot in diesem Fall rechtswidrig gewesen ist oder nicht, weil sich so ein Fall gar nicht wiederholen würde. Ein fragwürdiges Vorgehen der Polizei Hannover!

 

Doch neben all diesen Sachfragen eröffnete dieses Verfahren ganz nebenbei aber auch einen Blick in noch ganz andere Untiefen des niedersächsischen Polizeiapparats:

Bei einer Einsicht in die gerichtlichen Akten offenbarte sich, in welchem Umfang die Polizei selbst kleine Demonstrationen mit – wie in diesem Fall – nur rund 30 Teilnehmern überwacht, beobachtet, bewertet und all diese Informationen in polizeiliche Datenbanken einspeist und an eine große Zahl von internen Polizeistellen weiterverteilt. Und dass die Polizei Hannover sich nicht zu schade war, dem Gericht zensierte, in Teilen geschwärzte Polizeiakten zur Verfügung zu stellen!

Wir dokumentieren hier einen anonymisierten Auszug aus den Polizeiakten zu der am 12. Oktober 2012 in Hannover stattgefundenen Protest-Mahnwache „Wir zeigen der Vorratsdatenspeicherung die rote Karte!“.

Zunächst ein in Teilen geschwärzter Mail-Verteiler-Dokument der Polizei sowie ein (ebenfalls von der Polizeidirektion für das Gericht teilgeschwärzter) 3seitiger „Verlaufsbericht“ der Polizei:

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  • Das erste Blatt stellt die Dokumentation der Weiterverteilung von Demonstrations-Daten und -Bewertungen an insgesamt sechs unterschiedliche Stellen der niedersächsischen Polizei dar. Drei der Empfänger-Mail-Adressen wurden dem Verwaltungsgericht gegenüber geschwärzt.
  • Ebenfalls derart weiterverteilt wurde der Flyer zur Demonstration gegen die Vorratsdatenspeicherung.
  • Geschwärzt wurde ferner, wie viele Polizisten zur „Überwachung“ der Demo eingesetzt worden sind und über welchen Zeitraum sich diese Überwachung erstreckt hat (siehe Blatt rechts oben im Bild).
  • Wozu ist generell ein mehrseitiger „Verlaufsbericht“ einer Demonstration nötig und zulässig, wenn diese doch – wie von der Polizei selber bestätigt – störungsfrei verlief?
  • Was ist die Rechtsgrundlage für eine von der Polizei durchgeführte Überwachung und subjektive Bewertung („geringes bis kein Interesse der Bevölkerung“) einer Demonstration durch die Polizei?
  • Und warum ist es für die Polizei wichtig, zu ermitteln und zu erfassen, ob und welche oder wie viele „Medienvertreter“ bei einer Demo anwesend sind?

Dann gibt es noch einen weiteren, nochmals 3seitiger „Report“ über den Vorgang der Demo-Anmeldung und des Demo-Ablaufs:

gerichtsakten 10A6419-12-aa-anon

Ausschnitte daraus:

  • „Eine Überwachung der Kundgebung erfolgte im Rahmen der Streife.“
  • „Es wurden anlaßbezogene Flyer verteilt, …“
  • „Vorhandene Kameras wurden auf unsere Veranlassung durch die LFZ weggeschwenkt …“
  • „Im Rahmen der Überwachung der Kundgebung konnten 7 Personen festgestellt werden, die mit Überzügen (Westen) der „Piratenpartei“ ausgestattet waren.“

Es ist bemerkenswert, wie selbstverständlich dieser kleine Protest polizeilich „überwacht“ worden ist.

Die Behauptung, dass die Polizeikamera auf Veranlassung der Polizei selber weggeschwenkt worden ist, ist zudem schlichtweg falsch: Die Polizeikamera am Kröpcke (Fußgängerzonen-Innenstadtplatz in Hannover) filmte die Demo ab und wurde erst auf Hinweis des Versammlungsleiters an die Polizei mit einiger zeitlicher Verzögerung weggeschwenkt.

Und warum erfasst die Polizei, ob und in welcher Anzahl Parteien an der Demonstration teilnehmen?

Was ist der Grund und die Rechtsgrundlage des „Fernschreibens „nihmi 163324:1310“ (siehe erste Seite des vorherigen Bildes)? Warum also werden alle diese Informationen an insgesamt sechs weitere Polizei-Abteilungen (darunter LKA Niedersachsen und Zentrale Polizeidirektion Niedersachsen) weitergeleitet und in welcher Form und in welchem Umfang werden die Demo-Daten in Niedersachsen dort oder woanders gespeichert, etwa sogar zentral erfasst und registriert?

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