In unserer Kategorie „Zeitzeichen“ rezitieren wir in unregelmäßigen Abständen und in ebenso unregelmäßigem Umfang Nachrichtenschnipsel oder Zitate, die wir als möglicherweise stellvertretende Beispiele für größere Entwicklungen und gesellschaftliche Symptome empfinden: als Zeitzeichen.
Wir behalten uns vor, dieses oder jenes kurz zu kommentieren oder zu bewerten, oder auch nicht. :)
Fürs Archiv – aus einer DLF-Kurznachricht vom 29.4.2019: „Dobrindt schließt CO2-Steuer auf Kraftstoffe aus. (…) Landesgruppenchef Dobrindt sagte dem „Münchner Merkur“, kluger Umwelt- und Klimaschutz brauche Anreize und keine Bevormundung.“
Die CSU besitzt (eigener Ansicht nach bzw. egozentrischerweise) in der Bundesregierung ein pauschales Veto-Recht. Der bayrische Ministerpräsident Markus Söder in einer Meldung des DLF vom 2.5.2019, in der es um umstrittene Pläne zur Neuregelung der Grundbesitz-Besteuerung geht: „Es sei in der Großen Koalition selbstverständlich, dass ein Entwurf nicht ins Kabinett komme, wenn die CSU einem Vorhaben nicht zustimme.“
Wie die FDP in Bremen im Mai 2019 Wahlkampf betreibt: „Die Polizei muss wieder Bremens schlagkräftigste Familie sein“ lautet eines ihrer Großformat-Motiv-Slogans … o_O Die taz am 2.5.2019 dazu: „Die Assoziation [bei diesem Großplakat]: Bremen wird von ausländischen Familienclans – „Die Miris“ – beherrscht. Das hat bisher vor allem die AfD behauptet, jetzt outet sich auch die FDP als Anhängerin dieser These. Sehr viel irritierender ist, dass sich die FDP eine familiär strukturierte Polizei wünscht – und dabei auf historische Vorbilder zurückgreift. „Wieder“? Also zurück zum Korpsgeist, der im Nationalsozialismus erwünscht war? Der heute immer dann aufscheint, wenn Polizist*innen sich mit Erinnerungslücken oder Falschaussagen in Strafprozessen gegenseitig decken? In Familien hält man schließlich zusammen! Nicht umsonst erlaubt Paragraf 52 der Strafprozessordnung Familienangehörigen, die Aussage zu verweigern. Familien sind darüber hinaus identitätsstiftend. Wenn ich weiß, zu welcher Sippe ich gehöre, weiß ich, wer ich bin. Und gegen wen. Genau das scheint die FDP, Polizist*innen mit ihrer Forderung nach mehr Schlagkraft zu wünschen: Damit sie auch morgen noch kraftvoll zuhauen können. Das beleidigt nicht nur die Opfer von Polizeigewalt, sondern auch Polizist*innen.„
Alle Menschen sind gleich, aber manche sind gleicher als andere. Aus einer DLF-Nachricht vom 6.5.2019: „Soldaten in Uniform sollen in Zukunft kostenlos mit der Deutschen Bahn fahren dürfen. CSU-Landesgruppenchef Dobrindt will damit die Wertschätzung für Bundeswehr-Soldaten erhöhen und die Bundeswehr stärker in der Mitte der Gesellschaft verankern. (…) Auch Beamte der Bundespolizei können alle Zügen des Fern- und Nahverkehrs gratis nutzen, wenn sie in Dienstuniform unterwegs sind. (…) Zudem dürfen Polizeibeamte aller Bundesländer in Uniform nach Angaben der Deutschen Bahn bundesweit in der 2. Klasse in ICE-, IC/EC-, D-Zügen reisen sowie in allen Nahverkehrszügen außerhalb von Verkehrsverbünden.“ Wertschätzung erhöht man doch eher durch vertrauensbildende Lebenspraxis denn durch Verordnungen, oder?
Aus einem Beitrag des NDR vom 23.5.2019 im Zuge der Diskussion um ein virales CDU-kritisches Video des Youtubers „Rezo“ kurz vor der EU-Wahl: „Wir hatten uns für eine Antwort auf derselben Ebene entschieden – für ein Video.“ Gleichzeitig habe man aber immer wieder abgewogen, ob eine Antwort auf derselben Ebene – Video gegen Video – die angemessene Antwort sei. Gerade von der CDU werde „in aufgewühlten Zeiten erwartet, dass sie überlegt, reflektiert und mit kühlem Kopf antwortet„, so das Schreiben. „Verkürzen, verzerren, verdrehen – das ist Populismus. Überzeichnen, übertreiben, überspitzen: Wir distanzieren uns zu Recht von dieser Art, Politik zu machen.“ Über den Tag hinaus tragende Antworten erforderten Zeit, Maß und Mitte. „Die Währung von YouTubern sind Klickraten. Die Währung einer Volkspartei wie der CDU ist Vertrauen„, so die CDU in ihrer Antwort an Rezo.“ Hört, hört …
Ein (be)merkenswertes Zeitzeichen ist die inzwischen offen ausgesprochene Forderung so genannter „Verfassungsschützer“ und „Innenpolitiker“, das als Erkenntnis aus dem „Dritten Reich“ Deutschland eingeschriebene Trennungsgebot scheibchenweise abzuschaffen. Dass man sich das inzwischen traut offen und widerspruchslos auszusprechen spiegelt die Entwicklung unserer Gesellschaft beispielhaft. Aus einem heise-Bericht vom 23.5.2019: „Hamburgs Verfassungsschutzchef Torsten Voß forderte ein ‚modifiziertes Trennungsgebot‘ zwischen Ermittlungsbehörden und Nachrichtendiensten. ‚Kein Land weltweit hat diese strikte Trennung mindestens in Bezug auf die Informationsübermittlung zwischen Polizei und Verfassungsschutz.‘ Bei einem Treffen der Verfassungsschutzbehörden der neuen Bundesländer in Schwerin forderte auch Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) eine Diskussion über zeitgemäße Ermittlungsmethoden. Die Zeit sei schnelllebiger geworden, weshalb auch über Verfassungsfragen und neue staatliche Ermittlungsmethoden diskutiert werden müsse. Das Trennungsgebot zwischen Polizei und Verfassungsschutz sei ‚mitunter ein enormes Hindernis‘ bei der Zusammenarbeit. Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) zeigte sich dafür offen, den durch das Trennungsgebot gesetzten Rahmen des Informationsaustauschs zwischen Nachrichtendiensten und anderen Behörden ‚mit Augenmaß‘ zu erweitern.“ Und das ausgerechnet anlässlich des 70. „Geburtstags“ des Grundgesetzes. Was für eine Schande …
Perverse Umarmungs-Strategie – aus einer DLF-Kurznachricht vom 24.5.2019: „Weltweit demonstrieren junge Menschen heute wieder für eine bessere Klimapolitik. (…) Bundestagspräsident Schäuble (CDU) zeigt Verständnis für die Proteste und kritisiert die Bundesregierung. (…) Er könne verstehen, dass junge Leute das nicht akzeptierten, betonte der CDU-Politiker. Wörtlich sagte Schäuble: ‚Es ist gut, dass junge Leute Druck machen. Das ist ein Mut machendes Zeichen und es kann für Bewegung sorgen.'“
Ein Auszug aus einem Interview der DLF-Redakteurin Christiane Kaess mit dem CDU-Politiker Tankred Schipanski am 29.5.2019. Es geht (im Zuge der Diskussionen um das Rezo-Video von kurz vor der EU-Wahl) um die Frage, ob Meinungsäußerungen im Internet gesetzlich reglementiert werden sollen oder nicht. Herr Schipanski diskreditiert Rezo und offenbart zudem ein merkwürdiges Verständnis von dem, was unter Meinungsfreiheit im Grundgesetz verankert ist: „Schipanski: Und noch mal: Die Europäische Kommission reagiert ja genau auf diese Dinge, und das hat natürlich auch direkt was mit Kampagnen, wie es die Europäische Union formuliert, Desinformationskampagnen zu tun, weil wir das aus verschiedenen Wahlkämpfen erleben mussten. (…) Schipanski: (…) und ich verstehe den Beitrag von Annegret Kramp-Karrenbauer da zu einem wichtigen Debattenbeitrag, weil wir uns darüber als Gesetzgeber selbstverständlich Gedanken machen müssen. Wenn das Bundesverfassungsgericht für die klassische Medienwelt Grundsätze entwickelt hat, die sich auch übertragen auf diese neue Informationsordnung, denke ich, ist der Gesetzgeber auch hier gefordert. Kaess: Wir brauchen Regeln für Meinungsäußerung? Schipanski: Nein! Wir brauchen klare Regeln für Meinungsbildung in der digitalen Gesellschaft.„ Ach – und wo ist da der Unterschied?
Facebook stellt endlich öffentlich klar, dass es auf die Privatheit seiner Mastschweine (Pardon: Nutzer/Kunden) schei..t Aus einem heise-Bericht zu vom 2.6.2019: „Facebook sieht im Datenskandal mit Cambridge Analytica die Rechte der betroffenen Mitglieder auf Privatheit nicht verletzt, da diese bei ihren Aktivitäten in dem sozialen Netzwerk gar nicht davon ausgingen, privat zu handeln. „Es hat kein Eindringen in die Privatsphäre gegeben, weil es keine Privatsphäre gibt“, erklärte mit Orin Snyder am Mittwoch laut US-Medienberichten ein Rechtsanwalt im Namen des kalifornischen Konzerns bei einer Gerichtsanhörung in San Francisco. Der Plattformbetreiber leugnet demnach nicht, dass in der Affäre Drittparteien Zugriff auf Nutzerdaten hatten. Snyder versuchte Vince Chhabria, Richter am Bundesgericht für den Bezirk Nordkalifornien, aber davon zu überzeugen, dass dies nicht so schlimm gewesen sei. Denn es gebe in dem Netzwerk gar keine „angemessene Erwartung auf Privatheit“ der Nutzer.“ „Keine angemessene Erwartung auf Privatheit“ – hach!
Für alle Freunde von Alexa, Siri und Co. – aus einer DLF-Kurznachricht vom 5.6.2019: „Die Innenminister mehrerer Bundesländer wollen offenbar, dass Daten von Sprachassistenten wie etwa Alexa ausgewertet werden dürfen. Wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtet, plädieren Minister von Union und SPD dafür, diese Daten vor Gericht verwenden zu können. In einer Beschlussvorlage für die Innenministerkonferenz nächste Woche heißt es demnach, digitalen Spuren komme eine immer größere Bedeutung bei der Aufklärung von Kapitalverbrechen und terroristischen Bedrohungslagen zu. Eine Auswertung dürfe aber nur nach richterlichem Beschluss erfolgen. Vor einigen Wochen war bekannt geworden, dass die Bundesregierung nicht verraten will, ob und inwieweit Nachrichtendienste digitale Sprachassistenten zum Abhören benutzen. Das ARD-Magazin „Kontraste“ hatte über eine Anfrage der Linken berichtet, zu der die Regierung mitteilte, diese Informationen könnte auch als Verschlusssache nicht herausgegeben werden. Sollten sie bekannt werden, würden die Nachrichtendienste eine Fähigkeit verlieren und es wäre „kein Ersatz durch andere Instrumente möglich“. Auch Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz äußerten sich nicht.„ … Und was für einen Blödsinn die Stuttgarter Zeitung dazu verzapft und verbreitet „Die Sicherheitsbehörden werden sich auch mit ihren Plänen, mithilfe von Alexa Verbrechen zu bekämpfen, weitgehend durchsetzen. Denn mehr als ihre Freiheit lieben die Menschen ihre Sicherheit. Und für jene, die um ihre Freiheit fürchten, gilt: Keiner wird gezwungen, die Internetdienste in all ihrer Intensität und Aufdringlichkeit zu nutzen. Und jedem steht es frei, Alexa den Stecker zu ziehen.„ Na ganz so simpel ist die Welt dann wohl doch nicht. Oder ruft die Stuttgarter Zeitung etwa zu Widerstandshandlungen derart auf, überall dort die Stecker zu ziehen, wo man privat oder aus beruflichen Gründen zu Besuch ist und derartige Wanzensysteme vorfindet? (Quelle: DLF-Presseschau vom 6.6.2019)
Die Bundesregierung versucht sich unbeliebter „Staatsbürger“ zu entledigen – aus einer DLF-Kurznachricht vom 7.6.2019: „Deutschland prüft offenbar gemeinsam mit anderen europäischen Ländern die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichts für mutmaßliche IS-Terroristen. Nach Informationen der Funke Mediengruppe sind Irak und Katar als mögliche Standorte im Gespräch. Es müsse sich um einen politisch stabilen Staat handeln, in dem die Sicherheit für Richter, Anwälte und Zeugen gewährleistet sei.“ Irak und Katar als „politisch stabiler Staat“ für unabhängige Gerichtsverfahren? So so …