Protestnote gegen die offen angekündigte Vollüberwachung russischer Telekommunikation

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Russlands Gesetzgeber hat in den letzten Monaten offen angekündigt, eine prinzipiell vollständige Überwachung der Telekommunikation aller seiner Bürger und Gäste einzuführen. Der russische Inlandgeheimdienst soll pauschale Zugriffsrechte auf diese Daten erhalten. Ein Richter-Vorbehalt ist nicht vorgesehen.

Diese Pläne erinnern an totalitäre Fantasien und stehen dem Skandal, der sich angesichts der Snowden-Dokumente rund um die US-Geheimdienste samt aller besser oder schlechter gestellten verbündeten und kooperierenden Spionagedienste anderer Länder offenbart, um nichts nach.

Nur, dass sich so gut wie niemand über diese völlig unversteckt angekündigte Totalüberwachung aufregt. Warum sich die allermeisten der in Deutschland in Verantwortung stehenden Politiker wohl einer Kritik daran enthalten …

Wir haben dem russischen Botschafter in Berlin einen Offenen Brief geschrieben, der am 14.1.2014 per Einschreiben mit Rückschein versendet worden ist:

Sehr geehrter Herr Grinin,

 

wir schreiben Ihnen als Initiative „freiheitsfoo“, weil uns einige Meldungen der letzten Monate beunruhigen. Diesen Meldungen zufolge:

  • werden in Russland alle IP- und Telefonnummern sowie E-Mail-Adressen kontrolliert und Daten aus sozialen Netzwerken, Internettelefonaten und Chats abgegriffen,
  • werden diese Daten, die bereits seit 2008 bei den Telekommunikations-Anbietern vorgehalten werden müssen, ab dem 1.7.2014 unmittelbar in einem staatlichen Rechnersystem namens „Sorm“ zusammengetragen und dort verarbeitet,
  • erhält der russische Inlandsgeheimdienst FSB unbeschränkten Zugriff auf diese Datenbank,
  • liegt dem russischen Parlament ein Gesetzentwurf vor, wonach der FSB uneingeschränkt soziale Netzwerke nutzen und infiltrieren darf,
  • sollen während der Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi alle Besucher und Zuschauer (und selbstverständlich auch die Sportler) vollständig überwacht werden: Jedes Gespräch und jeder Datenverkehr, also jede E-Mail, jegliche Tätigkeit in sozialen Netzwerken oder in Chats sollen abgefangen und belauscht werden und/oder mittels Deep Packet Inspektion überwacht werden.

Diese geplanten und angekündigten Maßnahmen zur Totalerfassung sämtlicher Kommunikation mittels des Internets widersprechen dem von Russland am 23.3.1973 ratifizierten Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, darin insbesondere:

  • dem Recht auf Schutz vor willkürlichen Eingriffen in sein Privatleben und in seinen Schriftverkehr (Artikel 17.1),
  • dem Recht auf Gedanken- und Gewissensfreiheit (Artikel 18.1),
  • dem Recht auf Schutz vor Zwängen oder Einschränkungen im Zusammenhang mit der Religionsfreiheit (Artikel 18.2),
  • dem Recht auf unbehinderte Meinungsfreiheit (Artikel 19.1),
  • dem Recht auf freie Meinungsäußerung inklusive des Rechts, „ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen Informationen und Gedankengut jeder Art in Wort, Schrift oder Druck, durch Kunstwerke oder andere Mittel eigener Wahl sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben“ (Artikel 19.2),
  • dem Recht, sich frei mit anderen zusammenzuschließen (Artikel 22.1),
  • dem Recht, an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten unmittelbar teilzunehmen (Artikel 25).

Diese Überwachungsvorhaben widersprechen aber weiterhin auch dem von Russland am 16.10.1973 ratifizierten Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, darin:

  • dem Recht auf Berufsfreiheit (Artikel 6.1),
  • dem Recht auf Bildung (Artikel 13.1),
  • dem Recht auf Teilnahme am kulturellen Leben (Artikel 15.1),
  • dem Recht auf Teilhabe am wissenschaftlichen Fortschritt und seiner Anwendungen (Artikel 15.2),
  • dem Urheberrecht (Artikel 15.3),
  • dem Recht auf Freiheit der Forschung (Artikel 15.4).

Die seitens der für die beschriebenen Überwachungsmaßnahmen Verantwortlichen vorgebrachten Beruhigungen, dass niemand etwas zu befürchten habe, der nur „anständige und normale“ Internetseiten aufrufe (Zitat des Abgeordneten des russischen Parlaments, Alexander Chinschtejn), laufen sachlich ins Leere, da diese Eingriffsgrenze zum einen einen äußerst weiten und vor allem unscharfen Eingriffstatbestand beschreibt, vor allem aber weil zum zweiten bereits die Anwendung der schon jetzt praktizierten Kommunikations-Erfassungs- und Speicherungsmaßnahmen bei den Providern zu einer unakzeptablen und unverhältnismäßigen Einschränkung grundlegender Menschen- und Freiheitsrechte führt.

Die für den 1.7.2014 angekündigten Erweiterungen des Zugriffs auf diese Daten und deren Verarbeitung durch Geheimdienste verstärkt diese aus unserer Sicht unzulässigen Beschneidungen noch um ein Vielfaches.

Genau so wie wir die unserer Meinung nach illegalen und im letzten halben Jahr offenbar gewordenen Überwachungsmaßnahmen vieler internationaler Spionagedienste verurteilen (auch die der deutschen Dienste!), wenden wir uns nun also hiermit an Sie als den offiziellen Vertreter der Russischen Föderation in Deutschland:

Sehr geehrter Herr Grinin, die oben beschriebenen Überwachungsmaßnahmen Russlands widersprechen fundamentalen Menschen- und Bürgerrechten. Sie greifen die freiheitliche Entwicklung der russischen Gesellschaft an, sie unterdrücken die Menschen in Russland und nicht nur in Russland.

Bitte, Herr Grinin, setzen Sie sich für eine Abkehr der russischen Politik von diesem Überwachungswahn ein. Bitte initiieren und unterstützen Sie internationale Anstrengungen zur weltweiten Abwendung des Trends der Verselbständigung von staatlichen Geheimdiensten und privatwirtschaftlicher Überwachung.

Strikte Datensparsamkeit und ein bewusster staatlicher Informationsverzicht als Ausdruck eines modernen freiheitlich-demokratischen Selbstverständnisses sollten die Zielpunkte einer Idee von einer Welt sein, in der möglichst alle Menschen friedlich leben und sich frei entfalten können.

 

Wir würden uns sehr freuen, von Ihnen eine Stellungnahme zu unserer Intervention zu erhalten.

Diesen Brief verstehen wir als offenen Brief und selbstverständlich werden wir Ihre Stellungnahme ebenso ungekürzt im Netz der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung stellen.

 

Mit vielen guten Grüßen,

die Menschen von freiheitsfoo.

(Dieser offene Brief als PDF-Datei.)

Weitere Informationen auf der dazugehörigen Seite im freiheitsfoo-Wiki.

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